Wer vor einiger Zeit auf dem Netto-Parkplatz stand, hatte von dort aus diesen Blick auf die verlassene Brauerei in Böllberg. Das Industriedenkmal im Süden von Halle wird gegenwärtig umgewidmet. Schicke Lofts entstehen auf dem Gelände, wo einst Bier gebraut wurde. Der neue Name soll daran erinnern: Braumeister Lofts. Ein Rückblick, wie es vor dem Umbau in dem halleschen Lost Place aussah.
Digitale Erinnerungen
Dieser Tage stieß ich auf ein Video. Bei YouTube war das. In dem kurzen Filmchen ging es um die Braumeister Lofts. Die entstehen, so erfuhr ich, gerade in Böllberg. Das ist ein im Süden liegender Stadtteil von Halle. In teils denkmalgeschützten Gebäuden sowie in einem angrenzenden Neubau werden auf einer Gesamtfläche von etwa 9.300 Quadratmetern schicke Appartements gebaut. Das Gelände kenne ich. Und auch die einst maroden Gebäude. Denn vor Jahren schaute ich mir die verlassene Brauerei in Böllberg an. Nun habe ich einige Fotos von damals rausgesucht. Und ich möchte meine digitalen Erinnerungen mit euch teilen.
Betriebe entlang der Saale
Böllberg übrigens liegt unmittelbar an der Saale. Entlang des mehr als 400 Kilometer zählenden Flusslaufs haben sich im Laufe der Zeit viele Firmen angesiedelt. So war das auch in Halle. Als Beispiele will ich die Papierfabrik in Kröllwitz nennen sowie die Böllberger Mühle und die Freyberg Brauerei im Süden der Stadt. Und eben auch die erwähnte verlassene Brauerei in Böllberg. Hallenser kennen sie noch als Rauchfuß Brauerei oder als Engelhardtsche Brauerei. Die unterschiedlichen Bezeichnungen sind dem Besitzerwechsel geschuldet.
Bier gebraut wurde auf dem Böllberger Gelände seit 1907. Fast ein Jahrhundert lang. In dieser Zeit wechselte die Betriebszugehörigkeit der Böllberger Brauer immer mal wieder, bis sie zuletzt dem VEB Getränkekombinat Dessau angegliedert wurden. Nach der Wende wurde unter dem Namen Brauhaus Halle am Saale-Standort weiter gebraut. Bis der Betrieb 1993 geschlossen wurde. Danach verfiel das Objekt. Reichlich ein Vierteljahrhundert lang war der Lost Place ein Abenteuerspielplatz für die Kids aus der Umgebung, eine gute Adresse für Urbexer und ein Ort für Sprayer.
Blick durch kreisrunde Löcher
Wenn Objekte lange genug leer stehen, kommen jene in Scharen, die mitnehmen, was nach der Stilllegung nicht abtransportiert wurde. Oder andere, die in den Lost Places die Mauern, Türen, Fliesen und Gegenstände als Leinwände für Graffiti nutzen. Manche der Bilder sind echt originell und richtig gut gemacht, finde ich. Viele sind aber einfach nur Geschmiere. Dieses sinnlose Gesprühe ärgert mich insbesondere im Sudhaus der Böllberger Brauerei. Hier wurde einst die Würze hergestellt. Die großen Kessel sind längst verschwunden. Alle abtransportiert und verschrottet. Nur noch kreisrunde Löcher sind geblieben. Wo ich je nach Standort wahlweise von oben nach unten oder von unten nach oben schauen kann.
Die blauen deckenhohen Fliesenwände sind im unteren Teil mit allerlei Gekrakel überzogen. An Ort und Stelle ärgere ich mich darüber. Doch nachdem ich mir später meine Fotos anschaue, finde ich das gar nicht mal so schlecht.
Großer Bierkrug an der Wand
Graffiti begrüßen mich grellbunt auch andernorts. In den Treppenhäusern beispielsweise oder an den Fensterfronten. Das Thema der einstigen Brauerei hat ein Straßenkünstler ganz witzig umgesetzt – mit einem überschäumenden Bierkrug und dem Zunft-Gruß „Hopfen und Malz, Gott erhalt`s“. An einer blau grundierten, zum Teil abgerissenen Wand leuchtet mir das Streetart-Bild entgegen. Ich schmunzle und für ein paar Sekunden vergesse ich den Verfall und den Müll ringsum. Und während ich weiter in die Tiefen des Malz- und Brauhauses vordringe, denke ich positiver über die bunten Bildchen und Tags ringsum. Irgendwie schaffen sie einen Kontrapunkt zu Tristesse und Düsternis.
Schläuche wie dicke Schlangen
Wie das so ist mit leer stehenden Gebäuden. Je länger der Zustand andauert, umso mehr verändert sich das Innere. Was nicht niet- und nagelfest ist, wird mit der Zeit rausgeschleppt. Dafür nutzen andere wiederum die Räumlichkeiten als Müllabladeplatz. Bei meinem Besuch komme ich grad noch zur rechten Zeit. Der Ort ist noch nicht gänzlich verwüstet. Und einiges aus Produktionstagen hat noch keinen neuen Besitzer gefunden. Wie beispielsweise die Schaltschränke mit den weit aufgerissenen Türen. Etliche Rohre, an denen die Zeit tüchtig genagt hat, winden sich an Decken und Wänden entlang. Ein doppelflügliges Tor wurde notdürftig mit einer Eisenkette verschlossen. Eine Leiter hängt vor einer der schiefen Türen. Keine Ahnung warum.
Schläuche liegen wie dicke Schlangen auf den Werkstattböden. Ebenso wie Schrauben und Muttern sowie jede Menge zerbrochenes Glas. Auf einem kleinen Podest steht eine leere Bierflasche. Spinnen haben sie zum interessanten Foto-Objekt gemacht. Ich fotografiere auch den grünen Flaum, der sich über den Fußboden zieht. Im Keller entdecke ich einen orangefarbenen Kessel. Knöcheltiefes Wasser beendet an dieser Stelle aber meine Exkursion. Trockenen Fußes laufe ich eine Etage höher auf einem schmalen Weg an tiefen Bottichen vorbei. Sie sind riesig. Über ihnen hängen nach unten schmal auslaufende Füll-Vorrichtungen.
Türen auf Aktenbergen
Das Brauhaus ist mit dem Verwaltungsgebäude durch einen Gang verbunden. Den laufe ich jetzt lang. Die Fensterfronten links und rechts sorgen für viel Licht. Die Farbe am Holz ist längst abgeblättert. An der Decke verlaufen lange Balken. An denen war bestimmt einmal eine Zwischendecke befestigt. Der Gang endet an einer merkwürdig gestalteten Treppe. Die führt mich an zwei offenen Türen vorbei – zwei Toiletten. Im linken winzigen Räumchen hat die Kloschüssel die Zeit überdauert. Im rechten baumelt einsam nur noch die Spülkastenkette. Wer in diesen Zellen direkt an der Treppe früher mal sein Geschäft verrichtete, wird dabei wohl wenig Ruhe gehabt haben. Vermute ich.
Die Büros im Zweigeschosser sehen so aus, als hätten die früheren Mitarbeiter den Ot fluchtartig verlassen. Tapeten hängen in Fetzen. Türen wurden rausgerissen und liegen auf den verdreckten Böden. Mittendrin jede Menge Akten, Hefter und Gesetzesvorlagen. Wer Interesse hat, kann alte Geschäftsvorgänge nachlesen. Mir fehlt allerdings die Lust dazu.
Erste Sonnenblumen blühen
Durch den eingangs erwähnten Youtube-Film neugierig geworden, zieht es mich noch einmal auf das Industriegelände an der Saale. Und ich staune, wie sich die verlassene Brauerei in Böllberg verändert hat. Die Fassaden sind saniert. Ein neuer Schriftzug schmückt die aufgehübschte rote Ziegelfront. „Braumeister Lofts“ lese ich. Und die Jahreszahlen 1907 und 2021 links und rechts davon. Einige Wohnungen sind schon bezogen. Der Rasensamen ist aufgegangen. Ein grüner Flaum überzieht den grobkörnigen Boden. Sonnenblumen recken ihre Blütenköpfe in den September-Himmel. Derweil dreht sich ein Kran und Arbeiter wuseln an einem neuen Gebäude. Wenn die Arbeiten abgeschlossen sind, müsste ich eigentlich noch mal herkommen. Zu der neuen Wohnanlage in der einstigen Brauerei.
Vielleicht interessiert dich auch mein Exkurs in die Spritfabrik, in die Böllberger Mühle, in den Schlachthof oder in die Freyberg Brauerei. Alle vier Objekte sind in Halle zu finden. Im Nachbar-Bundesland Sachsen gefielen mir die verlassene Sternburg Brauerei in Lützschena, das Stadtbad Leipzig sowie die Lost Places in Görlitz. In angenehmer Erinnerung bleibt mir auch das Schloss Vitzenburg bei Querfurt/Sachsen-Anhalt.
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