Er gilt als eine der schönsten Kirchen Deutschlands: der Dom St. Stephanus und St. Sixtus. Doch nicht nur wegen des beeindruckenden Gotteshauses lohnt ein Abstecher nach Halberstadt. Auch das Fachwerk-Ensemble ist sehenswert.
Tipp beim Abendbrot
Die abendliche Einkehr in die Quedlinburger „Fischkate“ erweist sich für mich in zweierlei Hinsicht als ein Glücksfall. Als erstes komme ich in den Genuss eines vorzüglichen Lachsgerichts. Und zweitens gibt es sozusagen als Dessert einen Gratis-Reisetipp. Am Nachbartisch nämlich unterhält sich ein Pärchen über eine andere Fachwerkstadt ganz in der Nähe von Quedlinburg. Die Rede ist vom rund 15 Kilometer entfernt liegenden Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Die Altstadt der ehemaligen Bischofstadt soll ebenfalls puppig aussehen, reich ausgestattet mit sehenswertem Fachwerk. Und auch der einmalige Domschatz lohne einen Blick. Neugierig geworden breche ich also am nächsten Morgen auf zu einem Abstecher nach Halberstadt.
Farbenfrohes Fachwerk
Einstmals, so hatte ich mich noch am Vorabend informiert, galt Halberstadt als „Rothenburg des Nordens“. Stattliche 1.600 Fachwerkbauten im niedersächsischen Stil zählte die Stadt im nördlichen Harzvorland. Bis zum II. Weltkrieg. Während eines Flächenbombardements im April 1945 wurde fast das gesamte historische Stadtzentrum und damit ein Großteil der hier versammelten Fachwerkbauten zerstört. Weitere historische Gebäude, mit den Jahren verfallen, wurden während der DDR-Zeit abgerissen. Heute kann die sachsen-anhaltische Kreisstadt zwar nur noch mit rund 445 Fachwerkhäusern aus mehreren Jahrhunderten aufwarten, doch die präsentieren sich farbenfroh und hervorragend saniert oder rekonstruiert. Das sie echte Hingucker sind, davon kann ich mich bei meinem Abstecher nach Halberstadt überzeugen.
Tourstart am Bahnhof
Der beginnt am recht ansehnlichen Bahnhof von Halberstadt und führt mich zunächst vorbei an jeder Menge Plattenbauten. Die sehen nun mal so aus wie sie aussehen, scheinen aber grad modernisiert zu werden. Was ich allerdings nur am Rande registriere, während ich schnurstracks meinem Ziel zustrebe. In etwa 20 Minuten stehe ich dann im Stadtzentrum. Es ist übrigens egal, wo man den Altstadtbummel beginnt. Überall stoße ich auf farbenfrohes Fachwerk, originelle Türgestaltungen, Ornamente und hübsche Details. Das manche der rustikalen Holzbalken reichlich schief sind, scheint Programm. Mitunter neigen sich mir Fassaden keck entgegen in den verwinkelten Gassen. Die sind mit Kopfstein gepflastert und verlangen nach bequemem Schuhwerk. Das habe ich vorsorglich angezogen.
Planlos bummeln
Einen Stadtplan für meinen Abstecher nach Halberstadt brauche ich nicht. Ich mäandere einfach nach Lust und Laune durch die Straßen und Gässchen und über malerische Plätze. Ob Vogtei oder Grauer Hof, ob Bakenstraße oder Am Kult – ein prächtiges Fachwerkgebäude reiht sich im Stadtzentrum an das andere. Immer wieder buhlen liebevolle Details um meine Aufmerksamkeit. Ein wenig bedauere ich, dass ich für meinen Abstecher nach Halberstadt den März gewählt habe. Wie schön muss es hier erst in der warmen Jahreszeit aussehen. Wenn die Blumenkübel und Sitzmöbel rausgestellt werden und blühende Geranien die Fenstersimse schmücken. Aber ich kann ja einen zweiten Abstecher nach Halberstadt unternehmen. Und mir dann beispielsweise auch die Museen wie das Gleimhaus oder das Schraube-Museum anschauen. Für deren Besuch fehlt mir jetzt die Zeit.
Idyllischer Rosenwinkel
Für mich der idyllischste Ort in Halberstadt ist der Rosenwinkel. Hier drängt sich das herrliche Fachwerk. Beim Anblick der sorgsam restaurierten und wirklich sehr schön anzusehenden Gebäude links und rechts der geschwungenen Straße wird mir klar, dass Halberstadt zu Recht ein würdiges Mitglied im Reigen der Deutschen Fachwerkstraße ist. Rund 100 Städte haben sich unter dem Motto „Fachwerk verbindet“ hier zusammengeschlossen. In Sachen-Anhalt gehören zum Beispiel auch Quedlinburg und Wernigerode dazu.
Ansehen sollte man sich bei einem Abstecher nach Halberstadt auch die Dompropstei. Man findet das langgestrecke Gebäude, das heute von der Hochschule Harz genutzt wird, auf dem Domplatz. Das Markante am Haus sind das über den steinernen Arkaden stark auskragende Obergeschoss sowie das schmückende Wappenrelief über der Brüstung. Ich verweile ein wenig und gehe dann weiter zum Markt. Hier steht nicht nur das historische Rathaus, sondern auch die 1433 aufgestellte Roland-Statue. Sie ist übrigens die zweitälteste Deutschlands. Nur der Roland in Bremen ist noch ein paar Jährchen älter.
Juwel der Domstadt
Nach einer kurzen Kaffeepause im Café Hirsch strebe ich nun zum Highlight von Halberstadt. Das ist für mich der Dom St. Stephanus und St. Sixtus. Seine beiden 91 Meter hohen Türme ragen weit über das Dächermeer der Stadt hinaus und bilden einen faszinierender Kontrast zum bunten Fachwerk-Ensemble. Zweieinhalb Jahrhunderte, von 1236 und 1486, hat es gebraucht, um in Halberstadt dieses Juwel entstehen zu lassen. Schon die Außenansicht des nach französischem Vorbild errichteten und mit filigranen gotischen Verzierungen ausgestatteten Gotteshaus beeindruckt mich. Und weckt große Erwartungen aufs Innere. Die sich alsbald erfüllen.
Vier Löwen am Fuß
Durch die große Kirchentür mit den schmiedeeisernen Beschlägen betrete ich eine der schönsten gotischen Kathedralen Deutschlands. Mächtige aufwärtsstrebende Pfeiler und filigrane Steinmetzarbeiten begrüßen mich in der dreischiffigen Basilika. Viel Licht flutet durch die Bleiglasfenster und lässt das Innere hell und freundlich erscheinen. Insgesamt sollen es mehr als 290 Glasmalereien in den Fenstern des Chorraums sein.
Gleich am Eingang fällt mir das schlichte Taufbecken, geformt aus einem einzigen großen Marmorblock, auf. Es stammt aus dem 12. Jahrhundert und hat die Form eines Kelches. An dessem Fuß haben sich vier steinerne Löwen versammelt. Dieses älteste Kunstwerk des Halberstädter Doms hat sicher im Laufe der Jahrhunderte schon tausende Taufen erlebt. Hingucker im Kirchenschiff sind auch die mit kunstvollem Schnitzwerk ausgestattete Renaissance-Kanzel sowie der riesige gotische Radkronleuchter. Der zieht meinen Blick nach oben.
Überlebensgroße Holzfiguren
Ein Schmuckstück ist der nach drei Seiten geöffnete Lettner. Auf der üppig mit Schnitzereien verzierten Chorschranke thront die gewaltige Triumphkreuzgruppe. Sie soll aus der Zeit um 1220 stammen und zeigt fünf überlebensgroße hölzerne Figuren. Schon allein wegen dieses Anblicks hat sich mein Abstecher nach Halberstadt gelohnt. Aber es kommt noch besser. Denn jetzt zieht es mich zum Kostbarsten des Halberstädter Gotteshauses. Das ist der größte mittelalterliche Kirchenschatz außerhalb des Vatikans. Zu bewundern ist der berühmte Domschatz, der unter anderem aus Byzanz, Palermo und dem Nahen Osten stammt, gleich neben der Kathedrale in der Domklausur und in der Schatzkammer.
Europas älteste Bildteppiche
Auf 1.200 Quadratmeter Ausstellungsfläche sind rund 300 Exponate des mehr als 650 Objekte umfassenden Schatzes zu bestaunen. Zu den Kunstwerken von Weltrang gehören zwei romanische Bildteppiche. Der Abraham-Engel- und der Christus-Apostel-Teppich sind mit ihren mehr als zehn Metern Länge wahrlich monumental. Aber es ist nicht nur die Größe der Objekte, die sie so wertvoll machen. Sie stammen aus dem 12. Jahrhundert und gelten damit als die ältesten gewirkten Bildteppiche Europas. Diese Kostbarkeiten im abgedunkelten Ausstellungsraum etwas länger zu betrachten, lohnt wirklich. Nicht nur die akkurate Ausführung begeistert mich, sondern auch die Farben der beiden Exponate. Trotz ihres Alters scheinen sie kaum etwas von ihrer einstigen Strahlkraft eingebüßt zu haben. Eine echte Augenweide!
Bücher und Gewänder
Weitere Hingucker sind zweifellos die ansprechend drapierten liturgischen Gewänder aus Seide und Gold. Voll Bewunderung betrachte ich ein paar Schritte weiter die einzigartigen Goldschmiede- und Elfenbeinarbeiten, ein Holzstück vom Kreuz Jesu sowie die kostbaren Handschriften aus dem Früh- und Mittelalter. Darunter befindet sich auch ein Evangelienbuch aus dem 9. Jahrhundert. Dieses Kleinod gilt als eines der ältesten Bücher seiner Art und ist ein Meisterwerk mittelalterlicher Buchmalerei.
Tresor-Monster aus Eichenholz
In weiteren Vitrinen sind goldene Monstranzen und mit Juwelen besetzte Armreliquiare ausgestellt. Aufbewahrt wurden diese und andere Kostbarkeiten der Halberstädter Domherren einst in einem Heiltumsschrein. Der 500 Jahre alte Schrank gehört ebenfalls zu den bemerkenswerten Exponaten des Halberstädter Domschatzes. Das rund eine Tonne schwere Eichenholz-Monster, rundum mit Metallplatten beschlagen, besitzt neun Schlösser. Damit kein Unbefugter sich damals des Schatzes bemächtigen konnte, befanden sich die Schlüssel zu diesem Tresor in Kleinbus-Größe in der Obhut verschiedener Personen. Eine Information, die mich noch beschäftigt, während ich mir wenig später die farbenfroh bemalten Flügelaltäre und die Chor-Flügeltür anschauen. Und ich sinniere, dass er sich wirklich gelohnt hat, der Abstecher nach Halberstadt.
Wer Fachwerk mag, sollte unbedingt auch Quedlinburg in Sachsen-Anhalt besuchen. Ganz in der Nähe übrigens lockt Gernrode mit der größten Kuckucksuhr der Welt außerhalb des Schwarzwaldes, dem weltgrößten Wetterhaus und der sehenswerten Stiftskirche St. Cyriakus.
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