Myanmar, das Land der Superlative. Im ehemaligen Burma stößt der Besucher auf das größte Buch der Welt. Auch die zweitgrößte Glocke des Globus` kann er hier zum Klingen bringen sowie auf der längsten Teakholzbrücke den Sonnenuntergang beobachten. Und dann sind da noch die Abertausende von Pagoden, die ihre goldenen Kuppeln in den Himmel bohren. Auf einer Rundreise durch Myanmar besuche ich einige der spektakulärsten heiligen Stätten des Landes. Heute geht es nach Mingun.

Ziegelsteine ohne Ende

Nach dem Frühstück heißt es Aufbruch. Gestern war ich unter anderem in der Kuthodaw Pagode. Dort schlenderte ich durch das größte Buch der Welt. Der zweite Tag meiner Entdeckungsreise durch Myanmar führt mich nun wieder vor die Tore Mandalays. Konkret nach Mingun. In gut einer Stunde Fahrt auf dem trägen Ayeyarwady erreicht das Boot das Dörfchen. Es punktet mit gleich drei Superlativen. Bevor ich die aber sehen kann, entdecke ich am Ufer etliche einheimische Frauen. Sie haben bunte Longyis und Tücher über den Armen. Und an den Handgelenk baumeln Ketten. Noch bevor wir Bootsinsassen an Land gehen, haben die Frauen ausgemacht, wer welchen Touristen beim Landgang begleiten wird. Und so ist es dann auch: Jeder von uns bekommt auf dem Weg zur Mingun Pagode einen handelstüchtigen Schatten.

Die Pagode selbst ist für mich nicht so prickelnd anzuschauen. Mehr oder weniger ist es wirklich nur der größte Ziegelhaufen der Welt, als der das unvollendete Bauwerk gilt. Denn das ist es, was übrig blieb von den Plänen des größenwahnsinnigen Königs Bodawpaya. Das weithin sichtbare Zeichen seiner Macht sollte stolze 152 Meter hoch werden. Und damit höher als jeder Bau der damaligen Zeit.

Besucher vor dem Eingang der Mingun-Pagode

Dicke Löwen-Popos

Doch warum blieb das Mammutprojekt unvollendet? Die Erklärung ist einfach. Weil der burmesische König 1819 starb und die Bauarbeiten vor zwei Jahrhunderten gestoppt wurden. 1838 sorgte dann ein Erdbeben für die tiefen Risse, die mir sofort ins Auge fallen. Selbst die schon vollendeten löwenartigen Figuren am Ufer hat das Naturereignis von den Tatzen gehauen. Von ihnen blieb nur der Po übrig, den sie jetzt den Besuchern entgegenstrecken. Ich nehme den Chinthes das aber nicht übel, sondern begutachte die behauenen Brocken.

Heute ist vom ehrgeizigen Plan nur die Basis der Pagode zu sehen. Sie besteht aus unendlich vielen Ziegelsteinen. Und ist mit einer Länge von 72 Metern Länge und einer Höhe von 50 Metern ein wahres Ungetüm in der Landschaft. Wer mag, kann den Klotz hochklettern. Es gibt eine Außentreppe und oben eine tolle Aussicht. Doch ich mag nicht. Statt dessen umrunde ich die imposante Ruine. Und schaue mir das touristische Treiben an. Hier steppt wirklich der Bär. An den Ständen ringsum gibt es nichts, was es nicht gibt. Souvenirs ohne Ende. Nach dem einstündigen Rundgang geht es auch schon zügig weiter zur nächsten Sehenswürdigkeit. Und die ist völlig intakt.

Das Hinterteil eines steinernen Löwen, das als einziges nach einem Erdbeben von der Skulptur übrig blieb

Gigantische Glocke

Unweit des Pagoden-Stumpfs stehe ich vor der legendären 3,80 Meter hohen Mingun-Glocke. Von deren Existenz habe ich schon gehört. Das Schwergewicht von etwa 90 Tonnen ist die zweitgrößte noch intakte Glocke der Welt. Und den zweiten Platz hält sie auch nur mit viel Glück. Denn der Brocken ist schon mal runtergekracht. Hat aber im Gegensatz zur benachbarten Mingun-Pagode, wo sie einmal ihren Dienst tun sollte, keinen Riss abbekommen. König Bodawpaya hatte das Gießen in Auftrag gegeben. 1808 war das Meisterwerk fertig. Und damit war auch das Ende des Glockengießers eingeläutet. Auf königlichen Befehl schied er unfreiwillig aus dem Leben. Ja, so ging es bei Königs zu.

Aufgehängt in einem Pavillon ist die Glocke heute nicht nur zu bewundern. Man darf sie auch mit einem Holzstück traktieren. Allerdings nur nach einer vollbrachten guten Tat. So ist es Brauch. Ich freue mich, dass ringsum so viele Touristen offensichtlich an diesem Tag etwas Gutes vollbracht haben. Denn der Holzschläger geht von Hand zu Hand.

Hallo, Taxi!

Unter der fast bis zum Boden hängenden Glocke versammeln sich ständig Neugierige. Sie wollen gucken, wie es unterm Bronze-Monster mit einem Durchmesser von 15 Metern so aussieht. Blöd nur, dass von außen immer wieder ans Buntmetall geschlagen wird. Denen da drunter müssen doch bei jedem Schlag die Ohren klingen. Aber so genau will ich das gar nicht wissen. Vielmehr interessiert mich jetzt, ob die benachbarte Hsinbyume Pagode wirklich so weiß strahlt, wie auf den Fotos in den Reisekatalogen zu sehen. Um mich zu überzeugen, muss ich noch ein paar Schritte gehen. Lauffaule können sich alternativ auch mit einem Ochsenkarren-Taxi hinkutschierten lassen.

Touristen unter der Mingun-Glocke
Ein zweispänniger Ochsenkarren fungiert in Mingun als Taxi

Schönheit in Weiß

Tatsächlich, die Hsinbyume-Pagode ist wirklich so schneeweiß wie auf den Bildern. Angeblich soll sie jedes Jahr nach der Regenzeit gestrichen werden. Ob das stimmt, das sei mal dahingestellt. Jedenfalls ist mir der Himmel gnädig und gibt alles. Vor seinem Strahle-Blau hebt sich die anmutige Pagode nämlich wunderbar ab.

Bauherr der Schönheit in Weiß war König Bagyidaw, ein Sohn Bodawpayas. Er ließ die Pagode 1816 für seine Lieblingsgemahlin, Prinzessin Hsinbyume, errichten. Die war 23-jährig im Wochenbett verstorben. Unwillkürlich muss ich an das Taj Mahal am Stadtrand von Agra in denken. Das besuchte ich vor Jahren während einer Indien-Reise. Auch dort hat dereinst Großmogul Shah Jahan ein schneeweißes prächtiges Mausoleum für seine verstorbene große Liebe erbauen lassen. Dieses Gebäude und das hier in Mingun gehören für mich zu den Schönsten der Welt.

Über Treppen durch die sieben wellenförmigen Terrassen geht es hinauf zu einer Stupa. Und von dort weiter steil aufwärts. Bis oben ein Buddha die atemlosen Besucher empfängt. Und sie belohnt mit einer schönen Aussicht. Dieses Vergnügen ist mir aber nicht vergönnt. Auch ich würde gern eintauchen in dieses steinere Wellenmeer und ein paar Fotos aus interessanten Blickwinkeln machen. Aber es ist keine Zeit dafür. Die Pagode der Prinzessin sehe ich nur aus einiger Entfernung.

Das ist eben der Nachteil, wenn man in der Gruppe reist. Da muss man auf Zuruf weiterziehen, auch wenn man gern noch bleiben würde. So heißt es schnell Abschied nehmen vom Dörfchen Mingun und seinen Sehenswürdigkeiten. Doch 20 Kilometer weiter, nahe der alten Königsstadt Amarapura, wartet mit der U-Bein Brücke schon die nächste Attraktion.

Die filigrane Hsinbyume-Pagode

Gewimmel auf der Brücke

Am Taungthaman-See bin ich definitiv näher dran an der bekanntesten Sehenswürdigkeit unweit der Stadt der Unsterblichen. Man könnte auch sagen, ich bin mittendrin. Denn das Gewusel hier, das mich gerade umwogt, ist genauso beeindruckend wie die legendäre U-Bein Brücke selbst. Die eigenwillige Konstruktion gehört zweifellos zu den Superlativen Myanmars. Denn das zwischen 1849 und 1851 errichtete Bauwerk ist die älteste und zugleich längste Teakholzbücke der Welt. Insgesamt 1060 Stämme stützen die 1,2 Kilometer lange Brücke. Und auf der sieht es grad so aus, als fände eine Völkerwanderung statt.

Dem Augenschein nach sind es vorwiegend Einheimische, die die hölzerne Schlange bevölkern. Vorn sind Stände aufgebaut. An denen wimmelt es wie bei uns zum Schlussverkauf. Genau wie vor der Brücke. Da wird gegart und gesotten und gegessen und gekauft. An den zahllosen Verkaufsständen hängen die landestypischen Longyis dicht bei dicht. Und in allen Farben und Mustern. Klar, dass ich mir jetzt einen kaufe.

Nach einem Abstecher zu einer kleinen Pagode in unmittelbarer Nähe bin ich zufrieden. Glücklich wäre ich, würde die Sonne untergehen und ich wäre mit einem Boot auf dem See. Dann könnte ich auch diese einmaligen Fotos machen: die U-Bein Brücke bei Sonnenuntergang. Doch zum Schmollen gibt es wirklich keinen Grund. Ich habe den hölzernen Rekordhalter gesehen. Und das Gewusel auf und um das Bauwerk war auch sehenswert.

Die U-Bein Brücke ist stark frequentiert

Bunte Steinchen funkeln

Jetzt ist Eile wirklich geboten. Denn in Mandalay gibt es das nächste Highlight. Aber nur, wenn es der Busfahrer schafft, aus dem Mega-Stau rund um die U-Bein Brücke rechtzeitig rauszukommen. Und das dauert. Ich habe das Gefühl, ganz Myanmar ist auf den Beinen. Und ausrechnet an diesem Ort versammelt. Na ja, jedenfalls geht doch alles gut und ich bin nun unterwegs auf den 240 Meter hohen Mandalay Hill. Erst mit dem Tuk-Tuk, den Rest mit einem Fahrstuhl. Eine andere Möglichkeit wäre, die 1700 Stufen nach oben zu steigen. Zwei Gründe sprechen allerdings dagegen. Erstens bin ich heute schon genug gelaufen. Und zweitens und noch wichtiger: Dann würde mir das Beste entgehen – der Sonnenuntergang. Und der soll von hier oben spektakulär sein.

20 Minuten bis zum Naturschauspiel bleiben noch. Also schnell die Schuhe ausziehen und durch die Su Taung Pyi Pagode spazieren. Und die ist wirklich ein Erlebnis. Zumal bei diesem warmen Spätnachmittagslicht. Das lässt die Mosaike aus Glassteinchen und kleinen Spiegeln an Wänden und Säulen noch märchenhafter funkeln. An diesem Anblick und der angenehmen Atmosphäre erfreuen sich mit mir viele andere Besucher.

Und was wünsche ich mir jetzt in der Pagode, die dem Namen nach Wünsche erfüllt? Natürlich weitere unvergessliche Begegnungen wie heute während meiner Rundreise durch das ehemalige Burma. Denn morgen geht es mit dem Boot nach Bagan. Lies auch meinen Bericht über die Einbein-Ruderer vom Inle-See.

Säulen mit Mosaiken