Ein Ausflug nach Quedlinburg ist wie eine Reise ins Mittelalter. Überall in der sachsen-anhaltischen Stadt trifft man auf Fachwerk. Das stammt aus acht Jahrhunderten.
Deutschlands ältestes Fachwerkhaus
Fast bin ich vorbei am trutzigen Zweigeschosser. Da schnappe ich auf, was der Tourguide seiner Touristengruppe sagt, die sich grad vor dem Gebäude mit der wenig anziehenden Fassade aufbaut. Dieses Haus mit der Adresse „Hölle 11“ sei was ganz Besonderes. Ein Rekordhalter sozusagen. Was? Die Neugier lässt mich wieder zurückgehen und ich spitze die Ohren. Was macht denn das Haus mit den zwei unansehnlichen Sandsteinfassaden zur Straße hin so besonders? Die Erklärung gibt es sofort. Wir stehen vor dem ältesten Fachwerkhaus Deutschlands. Was von außen nicht zu erkennen ist: Das Fachwerk steckt im Dachstuhl und in der Geschossdecke. Sagt der Guide. Untersuchungen hätten ergeben, dass etwa die Eiche von 1215 stammt. Dieser mehr als 800 Jahre alte Gotik-Bau ist einer von vielen mittelalterlichen Häusern, die ich bei meinem Ausflug nach Quedlinburg entdecke.
Abstecher in die „Hölle“
In die „Hölle“ gelangt man übrigens vom Quedlinburger Markt ganz schnell. Man schlendert einfach rechterhand am Rathaus vorbei ein paar Schritte in die Breite Straße hinein. Schon sieht man es auf der rechten Seite, das 1553 errichtete Schuhmachergildehaus. Es beherbergt auch das Antiquitätengeschäft von Friedrich Häusser, bekannt durch die Sendung „Bares für Rares“. Genau zwischen diesem und einem benachbarten Geschäft führt ein schmaler Hausdurchgang mitten in den Schuhhof. An der knallroten Hauswand lese ich auf dem Schild, dass ich nun im „Vorhof zur Hölle“ bin. Na, hoffentlich geht das jetzt gut!
Im Mittelalter wohnten und arbeiteten hier die Schuhflicker. Auf klappbaren Läden an den Fenstern präsentierten sie ihre Waren zum Verkauf. Heute kann man an diesem Ort etliche der denkmalgeschützten und farblich recht auffällig gestalteten Fachwerkbauten betrachten, bevor man einen weiteren Durchgang passiert. Und dann ist man in der „Hölle“. Der Schuhhof übrigens gilt als schmalste Gasse der Stadt. Wer an dem malerischen Ort eine der hübschen Ferienwohnungen mietet, lebt für kurze Zeit im Mittelalter. Natürlich mit den vielen Annehmlichkeiten der Gegenwart.
Durch verwinkelte Gässchen
Schon alleine dieser hübsche Winkel ist einen Ausflug nach Quedlinburg wert. Mit dem Abstecher in die Hölle beginnt mein Bummel durch eines der größten Flächendenkmäler Deutschlands. Mehr als 2.000 meist aufwändig saniertes Fachwerk soll es in der Welterbe-Stadt geben. Jedenfalls las ich das vor Reisebeginn auf einer Homepage der Bodestadt. Andere Einträge im Web listen Zahlen von 1.200 oder 1.300 dieser Mittelalter-Bauten auf. Welche Angaben nun stimmen, mag ich nicht zu beurteilen. Zumal ich ja auch nicht zum Nachzählen in die Stadt nördlich des Harzes gekommen bin. Ich möchte vielmehr auf mittelalterlichem Pflaster durch verwinkelte Gässchen flanieren und mir dabei die betagten Häuser in Deutschlands größter Fachwerkstadt anschauen.
Nicht nur Architekten kommen bei einem Ausflug nach Quedlinburg auf ihre Kosten. Die Stadt zählt neben Wernigerode zu den Touristen-Hochburgen im Osten Deutschlands. Menschentrauben sehe ich bei meinem Bummel überall. An alle Ecken und Enden stehen Besucher, die sich von den Guides die Besonderheiten der Architektur aus allen Epochen des Fachwerkbaus erklären lassen. Beim Vorbeigehen hören ich Worte wie Ständerbauweise und Brüstungsplatten, Blendarkaden und Treppenfries-Schnitzereien.
Fächerrosetten an den Fassaden
Derart sensibilisiert entwickle ich beim Mäandern durch die verwinkelten Gassen und über lauschige Plätze einen Blick für solcherart Gestaltungselemente. Ich sehe vorkragende Geschosse, dekorative Erker und Mansardendächer ebenso wie eine Vielzahl von Ornamenten, Inschriften und Schnitzereien. Vor allem Fächerrosetten an den Fassaden kommen mir immer wieder in den Blick. Besonders schön anzusehen sind sie in der schon erwähnten „Hölle“. Auch die Vielzahl geometrischer Formen sind Hingucker.
Beim Fotografieren merke ich, dass in der Welterbe-Stadt wenig geradlinig ist. Um nicht zu sagen: Vieles ist krumm und schief. Die Häuser passen sich eben dem Gefälle der mit Kopfstein gepflasterten Wege an. Etliche der alten Holzbanken haben sich im Laufe der Jahrhunderte unter der Last gebeugt und verschoben. Ins Auge springen mir immer wieder schön gestaltete Haustüren und Fenster.
Fotografisches Schätzchen
Zurück in der Breite Straße schaue ich mir ein besonders fotogenes Schätzchen an. An dem bin ich vorhin auf dem Weg in die „Hölle“ vorbeigeeilt. Das dreistöckige Gebäude Breite Straße 53 mit der vorkragenden Fassade wurde 1560 gebaut und wirkt durch das reiche Schnitzwerk und die Malerei auf mich sehr anziehend. Alles, was mir gefällt an diesem Fachwerkhaus, kann ich in Einzelheiten nicht beschreiben. Man muss das prächtige Gebäude mit den Akanthusmotiven einfach auf sich wirken lassen. Das Haus aus der Frührenaissance ist nicht zu verfehlen. Es steht gleich an der Einmündung zum Markt und grenzt an das Schuhmachergildehaus.
Roland aus Sandstein
Erstaunlich groß für die kleine Stadt ist der Marktplatz. Umfasst ist er von historischen Gebäuden. Darunter auch besagtes Renaissance-Rathaus. Das zählt übrigens zu den ältesten in Mitteldeutschland. An der linken Seite vor dem erstmals 1310 urkundlich erwähnten gotischen Gebäude wacht der Quedlinburger Roland. Das Stadtbild mit Schwert wurde aus Sandstein gefertigt und misst 2,75 Meter. Davor entdecke ich das Wappen der einstigen Königspfalz: Ein schwarzer Adler präsentiert auf seinem Brustschild eine silberne Burg. Etwas traurig bin ich, dass bei meinem Ausflug nach Quedlinburg der Efeu so mickrig aussieht. Dafür strahlt das markante Fachwerkhaus (Hoken 1) neben dem Roland in sattem Ocker. Das denkmalgeschützte Haus beherbergt in den oberen Etagen ein Hotel. Im Parterre lädt ein Café mit Außenbereich ein. Daran laufe ich aber vorbei in Richtung Marktkirche. Sie ist mein nächstes Ziel.
König David mit Harfe
Am Roland vorbei und noch ein paar Schritte weiter stoße ich auf die Marktkirche. Von außen fällt auf, dass die Türme unterschiedlich hoch sind. Zum Thema Türme erfahre ich später mehr. Doch erst mal trete ich ein in die spätgotische Hallenkirche. Drinnen zieht es mich sofort zur Renaissance-Kanzel. Sie scheint aus Marmor gefertigt. Dabei ist sie aus Holz. Als Korbträger zeigt sich der Erzengel Gabriel aus allen Blickwinkeln überaus fotogen. Hingucker sind auch der Hochaltar sowie die König-David-Figur mit Harfe am Eingang zur Kalandskapelle. Als ich wenig später vertieft bin in die Betrachtung des goldstrotzenden Marienaltars, fragt mich plötzlich jemand, ob ich Interesse an einer Turmbesteigung hätte. Klar, habe ich.
Rauf auf den Kirchturm!
Der Aufstieg über Wendeltreppe und Stiege ist moderat. Zwischendurch gibt es ein Päuschen, etwa auf Höhe der Glocke. Gelegenheit für den Guide, ein paar Informationen loszuwerden. Spannend wird es auf der begehbaren Turmebene, deren Gebälk mich an unseren ehemaligen Wäscheboden erinnert. Hier wohnten die Türmer mit ihren Familien. Deren Aufgabe war es, die Umgebung zu beobachten und im Brandfall Alarm zu schlagen. Tragischerweise brach 1901 gerade hier oben durch die Unachtsamkeit der Bewohner Feuer aus. Die beiden Türme der Kirche St. Benedikti samt Türmerwohnung brannten lichterloh. Das war des Ende der Türmer-Ära in Quedlinburg.
Alles wurde originalgetreu wieder aufgebaut. Und so kann ich in der ehemaligen Türmerwohnung von einem Fenster zum anderen gehen und den wunderbaren Rundblick über die Dächer der einstigen Königspfalz genießen. Schon deshalb hat sich mein Ausflug nach Quedlinburg gelohnt.
Rockkonzert in der Kirche
Wenig später kreuzt das nächste Gotteshaus meinen Weg. Vorbeigehen kommt nicht infrage. Denn aus dem Innern dringt Rockmusik. Das macht mich neugierig. Über ein paar Stufen gelange ich in die kleinste und älteste Kirche Quedlinburgs. Obwohl: In der St. Blasii werden seit langem keine Gottesdienste mehr abgehalten. Stattdessen wird das restaurierte Gebäude heute als Kulturkirche für allerlei Veranstaltungen genutzt. Ein paar Titel der Band, die vor dem in mystischem Blau angestrahlten barocken Altar vor begeistertem Publikum spielt, höre ich mir an. Dabei schweift mein Blick durch die schlichte Saalkirche. Dominant sind das Kastengestühl und die an drei Seiten des Raums vorgelagerten Emporen. Aus dunklem Holz gefertigt beziehen sie auch die Orgel mit ein. Mein Tipp: Wer einen Ausflug nach Quedlinburg unternimmt, sollte unbedingt in das sakrale Gebäude reinschauen.
Stärkung in der Fischkate
Die Gegend um den Schlossberg gehört zu den ältesten und romantischsten Vierteln der einstigen Hauptstadt des Ostfränkischen Reichs. Und ist ein Muss für alle, die einen Ausflug nach Quedlinburg machen. Auf dem Weg zum Sandsteinfels mache ich erst mal Rast in der „Fischkate“. Zu finden ist sie in der Altetopfstraße (Quedlinburg hat schon lustige Straßennamen). Das zünftige Restaurant mit kleiner Terrasse offeriert eine Vielzahl von Fischgerichten. Die sind echt lecker. Und schmecken nicht nur mir, wie ich beim Blättern im Gästebuch lese. Sogar der Bundespräsident Steinmeier hat sich löblich über das Restaurant und die freundliche Bedienung geäußert.
Erst Lachs, dann Finkenherd
Von Lachs und Nudeln vorzüglich gestärkt geht es weiter übers mittelalterliche Kopfsteinpflaster. Ziel ist der berühmte Finkenherd. Hier sollen angeblich im Jahre 919 fränkische Edelleute dem Sachsenherzog Heinrich I. die Königskrone überreicht haben. Schöne Geschichte. Ich will sie mal glauben. Keinen Zweifel allerdings gibt es daran, dass in diesem Stadtteil einige der schönsten Fachwerkbauten der einstigen Hansestadt versammelt sind.
Gleich zu Anfang grüßt beispielsweise das Haus Finkenherd 1. Es stammt aus dem Spätmittelalter – so um 1500 – und dürfte wohl zu den am meisten fotografierten Häusern in Quedlinburg gehören. Weitere tolle Fotomotive gibt es ringsum. Aber auch in den Gebäuden. Wie beispielsweise im Quedlinburger Senfladen (Finkenherd 6), der sogar sonntags geöffnet ist. Wer bei diesem riesigen Angebot des Hofladens der Senfmanunfaktur nicht fündig wird und ohne vollen Einkaufsbeutel rauskommt, ist selber Schuld. Ich werde auf dem Rückweg noch mal reinschauen.
Test im Käsekuchen-Paradies
Denn jetzt zieht es mich zum nahegelegenen SchlosspIatz, der zum Schlossberg hin ansteigt. Auf dem idyllischen Platz stoße ich auf das Klopstock-Haus. In dem Fachwerkgebäude wurde der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock geboren. Das Gebäude links davon beherbergt das einzige Feininger-Museum weltweit und gehört zu den Touristen-Magneten in der Stadt. Bevor ich das besuche, teste ich in der Käsekuchenbäckerei Vincent (Schlossberg 13), ob der Kuchen wirklich so lecker ist wie sein Ruf. Angeblich über 193 Käsekuchen-Sorten sollen im Angebot sein. Gereicht werden Speisen und Getränke aus dem Fenster des Schlemmer-Paradieses. Wer keinen Platz im Außenbereich des Käsekuchen-Königs findet, kann es im gegenüber liegenden „Café Am Finkenherd“ versuchen.
Steiler Weg zum Schatz
Zeit, den steilen Schlossberg, von der Natur aus trutzigem Sandstein geformt, zu bezwingen und der über tausendjährigen Stiftskirche St. Servatius einen Besuch abzustatten. Das Wahrzeichen Quedlinburgs beherbergt den sehenswerten Domschatz. 936 wurde bereits erwähnter Heinrich I. hier bestattet. Und das ist keine Legende.
Das erste Verschnaufen erfolgt im barocken Schlossgarten. Von hier oben hat man einen guten Blick über die Dächer der Stadt. Auch die Plastik der Hände, die schützend über Quedlinburg liegen, kann man fotografieren. Gut erkennen lässt sich ebenso das nur Fußgängern vorbehaltene Schlossberg-Gässchen am Fuße des Bergmassivs. Hier lebten einst die sogenannten kleinen Leute. Die farbenfrohen Häuschen mit den Terrassengärten schaue ich mir nach dem Abstieg an. Ebenso das idyllische Fachwerk auf der anderen Seite des Schlossbergs. Für den romantischen Münzberg bleibt mir allerdings keine Zeit. Ein Abstecher dorthin ist jedoch für meinen nächsten Ausflug nach Quedlinburg geplant.
Ältester Knüpfteppich
Zwar habe ich wegen der Sanierungsarbeiten keinen Zugang zum Schlossmuseum, doch der Besuch der Stiftskirche lohnt sich allemal. Der romanische Bau mit seinen riesigen Ausmaßen beeindruckt mich sehr. Ebenso der Domschatz. Neben all den Kostbarkeiten bewundere ich vor allem den Elfenbeinkamm von Heinrich I. sowie den Quedlinburger Knüpfteppich. Dieser stammt aus der Zeit um 1200 und gilt als ältester erhalten gebliebener Knüpfteppich Europas. Fotografieren kann man den Domschatz leider nicht. Aber ihn zu sehen, ist schon ein Erlebnis.
Zeitreise durch alte Gassen
Letztendlich ist es egal, welchen Pflastersteinweg man durch das 86 Hektar große Flächendenkmal wählt, überall stößt man auf engstem Raum auf sehenswerte historische Bauten. Und nach meiner Beobachtung gibt es auch ein Vielzahl von Restaurants und Cafés, die zur Einkehr locken. Einen angenehmen Abend habe ich beispielsweise im Flammkuchen-Restaurant „Le Feu“ (Wordgasse 5, Adelshof) genossen. Eingekehrt bin ich auch im Baumkuchen-Restaurant auf dem Markt. Eine Übernachtung hatte ich im Hotel „Theophano“ gleich am Markt gebucht.
Zum Schluss noch einige Impressionen von meinem Ausflug nach Quedlinburg, das Mitglied der Deutschen Fachwerkstraße ist.
Tipps für weitere Städte-Touren
Wer gern auf Städte-Tour geht, dem empfehle ich einen Abstecher nach Meißen. Auch ein Bummel durch Bamberg, Würzburg, Regensburg und Nürnberg ist ein Erlebnis. Es lohnt sich, auch mal in meiner Heimatstadt Halle vorbeizuschauen.
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