Schloss Hartenfels wurde im 16. Jahrhundert auf den Festen einer Burg in Torgau errichtet. Die Anlage hoch über der Elbe gilt als Meisterwerk der Frührenaissance. Zur damaligen Zeit war die kurfürstliche Residenz in Sachsen eine der modernsten Schlossanlagen. Auf einem Streifzug durch Schloss Hartenfels trifft man auf ein Meisterstück der Architektur. Es ist der Große Wendelstein. Sehenswert ist auch die kleine Schlosskapelle.
Nickerchen im Burggraben
Noch bevor ich das Portal mit dem prächtigen Wappenstein passiere, gibt es schon was zum Gucken. Und zwar unter der Bogenbrücke, auf der ich stehen. Da unten im Burggraben macht grad ein Braunbär sein Nickerchen. Eingewühlt im Sand stört er sich nicht die Bohne an den Besuchern, die wortreich von der Brüstung auf ihn zeigen. Ist halt Alltag für Meister Petz.
Der Bärenzwinger hat Tradition im Schloss Hartenfels. Sie reicht bis in das 15. Jahrhundert zurück. Erweitert wurde das Gehege im folgenden Jahrhundert, als die mittelalterliche Burganlage zu einer der schönsten Schlossanlagen Europas umgestaltet wurde. Doch wegen der Bären – drei sind es – bin ich nicht ins sächsische Torgau gekommen. Viel lieber will ich einen Streifzug durch Schloss Hartenfels unternehmen. Das einstige Residenzschloss über der Elbe soll Sehenswertes zu bieten haben. Und ein Ort sein, an dem Geschichte geschrieben wurde.
Händedruck an der Elbe
Ad hoc fällt mir die historische Begegnung amerikanischer und sowjetischer Streitkräfte im April 1945 ein. Als die sich unterhalb des Schlosses an der gesprengten Elbe-Brücke trafen und per Handschlag das Ende des II. Weltkriegs besiegelten. Auch reichlich ein Jahrhundert früher, beim Russland-Feldzug Napoleons 1812, spielte das Torgauer Schloss eine wichtige Rolle. Es wurde nämlich zur Defensionskaserne umgebaut. Und wurde somit Teil der sächsisch-napoleonischen Festung. Doch mit der Geschichte des Anwesens kann ich mich auch Zuhause noch beschäftigen. Jetzt beginne ich erst mal meinen Streifzug durch Schloss Hartenfels. Das grüßt mit schneeweißer Fassade.
Hochzeit mit Opernpremiere
Durch den Hauptzugang gelange ich in den weitläufigen Schlosshof. Von vier Gebäudeflügeln umschlossen bildet er den Mittelpunkt einer reich strukturierten Residenz. Schmucke Erker und Giebel, Türme und Balkone sorgen für Blickfänge. Die Augen auf die sanierten Fassaden gerichtet laufe ich über historisches Pflaster. Auf dem sind vor mir schon viele Berühmtheiten geschritten. Oder mit der Kutsche drüber gerumpelt. So wie einst Peter der Große. Der russische Zar kam 1711 nach Torgau, um im Schloss bei der Vermählung seines Sohnes Alexei mit Charlotte Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel dabei zu sein. Auch der Komponist Heinrich Schütz lief einst über die unebenen Steinen. Das war 1627, als er aus Anlass einer Hochzeit „Daphne“, die erste deutschsprachige Oper, zur Uraufführung brachte. Ein eher unscheinbares Schild am Flügel D informiert den Besucher darüber.
Dornröschen war hier
Zu den Promis, die auf Schloss Hartenfels wirkten, gehört auch Lucas Cranach der Ältere. Der Hofmaler hat hier nicht nur die kurfürstlichen Gemächer ausgestaltet. Eines seiner bekanntesten und eines meiner liebsten Gemälde entstand hier. 1526 malte der Meister Sibylle von Kleve als Braut. Von seiner Hand stammt auch das Porträt ihres künftigen Ehemanns Johann Friedrich I. von Sachsen. Der Kurfürst, versehen mit dem Beinamen der Großmütige, war übrigens ein Förderer und Wegbereiter der Reformation. Kein Wunder, dass auch Martin Luther so manches Mal auf Schloss Hartenfels weilte. Dabei hinterließ er Spuren. Doch dazu später. Übrigens wurde auch das hübsche Dornröschen gesichtet, als es über den Hof tippelte. Das war im Sommer 1970. Da diente Schloss Hartenfels als Kulisse für den DEFA-Film „Dornröschen“.
Die Kurfürstin plaudert
Zunächst schaue ich mir die kleine Ausstellung im Flügel A, gleich am Haupteingang, an. Danach zieht es mich zu den gegenüberliegenden kurfürstlichen Gemächern. Auf kunstvoll ausgestattete Räume hoffe ich vergebens. Die Kriegswirren und die Umnutzungen der Gebäude haben dafür gesorgt, dass keine antiken Möbel zu besichtigen sind. Dafür empfängt mich Sibylle von Kleve, so, wie Cranach sie schuf. Im Rahmen einer Multimediaschau plaudert sie in ihrem Gemach über ihren Alltag im Schloss. Ihren Angetrauten treffe ich wenig später im Flaschenturm. Auch er wird im Rahmen einer Multimediaschau lebendig. Der großmütige Kurfürst berichtet von der wechselvolle Geschichte einer der schönsten und bedeutendsten Schlossanlagen Deutschlands. Das Schloss in Torgau galt als politisches Zentrum der Reformation, war aber immer wieder in kriegerische Auseinandersetzungen verstrickt. Sogar eine Kanonenkugel kann ich im Turm per Knopfdruck in Bewegung setzen und dann abfeuern. Weil ich aber ein friedvoller Mensch bin, zieht es mich wieder ins Freie.
Repräsentativer Wendelstein
Vorbei am plätschernden Neptunbrunnen steuere ich auf das Highlight von Schloss Hartenfels zu. Das ist der Große Wendelstein. Einfach gesagt ist es eine Treppenspindel ohne tragende Mittelsäule. Klingt erst mal ziemlich banal. Ist es aber nicht. Denn die Wendeltreppe aus den 1530er Jahren ist eine architektonische Meisterleistung. Die schaue ich mir genauer an.
Dem weißen Schloss-Flügel C in der Mitte vorgelagert ist dieser Treppenturm nicht nur ein funktionales Bauteil. Er ist in seiner Gesamtheit auch äußerst repräsentativ. Und schmückt den Schlosshof ungemein. Die Spirale ruht auf einem kubischen Sockel, den eine Brüstung krönt. Links und recht führen Freitreppen nach oben. Die anschließende Wendeltreppe wird von einem Gewölbe überspannt. Das wird von sechs ornamentierten schlanken Säulen getragen. Sie bieten der sensationellen Treppenkonstruktion seitlich Halt.
Wappen als Ahnentafel
Bevor ich den Großen Wendelstein besteige, werfe ich einen Blick auf das farbenprächtige Wappenrelief. Detailliert ausgearbeitet ziert es drei Seiten der Balkonbrüstung. Und fungiert nebenher als eine Art Ahnentafel der einstigen Schlossherren nebst ihrer Gemahlinnen. Das Wappen von Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, der das wagemutige Architekturwunder erbauen ließ, kann ich über dem linken Zugang zur Treppenspirale ausmachen. Das seiner Gattin Sibylle entdecke ich über dem gegenüberliegenden rechten Aufgang.
Fotogene Treppenschraube
Zwar ist der höchste Turm des Schlosses der Hausmannsturm. Über Eck verbindet er die Schloss-Flügel C und D. Von dort oben liegen dem Kraxler der Schlosshof, die Elbe und Torgau zu Füßen. Doch der interessanteste „Aussichtsturm“ von Schloss Hartenfels ist der besagte Große Wendelstein. Allein der Aufstieg im filigranen Gehäuse wird zum Erlebnis. Die Treppenschraube ohne stützenden Mittelpfeiler scheint zu schweben. Sie windet sich in zwei Kreisen über zwei Etagen nach oben. Bei jedem Schritt auf den sichelförmigen Sandsteinstufen bietet dieses fast 20 Meter hohe architektonische Kleinod was zum Staunen und Fotografieren. So macht es mir denn auch fast gar nichts aus, dass ich vom Aufgang die Schlossetagen nicht betreten kann. Die Türen sind verschlossen. So verbringe ich denn einen Teil meiner Besichtigung von Schloss Hartenfels auf diesem einzigartigen Meisterwerk der Architekturgeschichte.
Luthers kleine Kirche
Ich muss nachfragen, denn bisher suche ich sie bei meinem Streifzug durch Schloss Hartenfels vergebens, die Kirche. Was kein Wunder ist. Denn man kann sie glatt übersehen. Weil die Kapelle nicht frei steht. Vielmehr fügt sich ihr Zugang nahtlos und beinahe unauffällig in die Fassade des Nordflügels ein. So bescheiden, wie der klerikale Ort den Besucher empfängt, so bedeutsam ist andererseits die Torgauer Schlosskapelle. Denn sie gilt als erster protestantischer Sakralneubau der Welt nach der Reformation. Johann Friedrich der Großmütige ließ die Kirche erbauen. Ihr Inneres wurde nach den Ideen von Martin Luther ausgestaltet. Der weltbekannte Augustinermönch war es auch, der sie 1544 mit einer Predigt weihte.
Die Schlichtheit des denkmalgeschützten Gotteshauses gefällt mir. Im Wesentlichen, so ist zu hören, blieb es im Original erhalten. Mein Blick geht 14 Meter empor zum stern- und netzartigen Gewölbe und verweilt bei den beiden umlaufenden Stein-Emporen. Zurück im Erdgeschoss des 23 Meter langen Saales betrachte ich den Altar. Auch der zeichnet sich durch Schlichtheit aus. Die blumengeschmückte Tischplatte der Mensa ruht auf vier Putten. Ein Hingucker ist die Kanzel.
Kaffee mit Wendelstein-Blick
Nach dem Besuch der Kapelle zieht es mich ins kleine Schloss-Café. Ich sitze unter schattigen Bäumen, den Blick auf den einzigartigen Großen Wendelstein. Die Bedienung ist überaus freundlich und blitzschnell. Der Cappuccino dampft in der Tasse und der hausgemachte Pflaumenkuchen schmeckt lecker. Ein schöner Abschluss. Ich bin zufrieden mit meinem Streifzug durch Schloss Hartenfels.
Weitere Schlösser in Mitteldeutschland
Empfehlen kann ich den Besuch des Witwenschlosses in Delitzsch sowie des Barockschlosses Friedenstein in Gotha. Hier dürfte das Ekhof-Theater für Staunen sorgen. Ein schönes Ausflugsziel nicht nur für Fans des Kult-Films „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ ist das Schloss Moritzburg bei Dresden. Im Thüringischen, in Rudolstadt, will die Heidecksburg von Ausflüglern erobert werden. Für die dortige Miniaturausstellung von barocken Schlössern sollte man sich Zeit nehmen.
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