Eine Rundreise – vier Königsstädte kennenlernen: In Marokko ist das möglich. Ob Fès, Meknès, Marrakesch oder Rabat, jede dieser Metropolen bezaubert mit ihren orientalischen Reizen und den zahlreichen Sehenswürdigkeiten. In Fès beispielsweise passiert man eines der zwölf Stadttore und schon wähnt man sich im Mittelalter. Die Medina ist wie ein Ameisenhaufen, quirlig, aber wohl organisiert. Touristen, die im Labyrinth von Fès unterwegs sind, kommen früher oder später auch ins Viertel der Gerber und Färber.
Das Mittelalter wartet
Die Mühe hätte sich Doc Brown sparen können. Baut sich der exzentrische Wissenschaftler doch ein Gefährt, um mit Filmpartner Marty McFly in dem Science-Fiction-Dreiteiler „Zurück in die Zukunft“ auch in die Vergangenheit zu kutschen. Typisch Hollywood. Dabei ist das Eintauchen in eine andere Epoche doch auch anders möglich. „Und dazu brauchst du keine Zeitmaschine“, lacht Mustafa, mein Guide. Der Marokkaner mit dem dunklen Lockenkopf und der erdbraunen Djellaba zeigt nach unten. „Denn dort wartet das Mittelalter auf dich. Gleich bist du im Labyrinth von Fès.“
Ich schaue von einem Hügel auf ein Tableau kubischer Bauten zu meinen Füßen. Stolze Minarettspitzen streben zwischen lehmgelben Häuserwürfeln himmelwärts. Vergoldete Zinnen glänzen in der Vormittagssonne. Dazwischen leuchten dunkelgrüne Satteldächer. Das also ist Fès, die älteste der vier Königsstädte in Marokko. Die Metropole mit der größten Medina des Landes, der ältesten Universität und mit den lebhaftesten Souks. In deren Gassengewirr brummt es von morgens bis abends wie in einem Bienenstock. Weil sich hier alles trifft: Einwohner und Touristen. Die einen zum Handeln und Einkaufen, die anderen vorwiegend zum Gucken.
Esel haben Vorfahrt
Nach kurzer Talfahrt mit dem Auto hefte ich mich an Mustafas Fersen. Der gibt mir mit erhobenem Zeigefinger die wichtigste Verkehrsregel in Fès el Bali mit auf den Weg. „Wenn du ´balak-balak`- Rufe hörst, dann springst du sofort zur Seite. Im Labyrinth von Fès haben nämlich Lastenträger und Esel Vorfahrt“, erklärt der Guide. Denn beide sind das Transportmittel Nummer 1 im Labyrinth der Altstadt, die von einer 15 Kilometer langen Stadtmauer eingefasst ist.
Dann geht es los. Hinter dem hufeisenförmig gebogenen blau-goldenen Bab Boujeloud, eines von zwölf Stadttoren, empfängt mich das Mittelalter. Die über ein Jahrtausend alte Medina, seit 1980 Weltkulturerbe, ist kein inszeniertes Disneyland für Touristen. Hier ist alles echt und hat seine Funktion. Ungeschminkt und ungekünstelt zeigt sich die orientalische Diva. Allerorten – und vor allem in den abzweigenden Seitengassen – ist der Verfall sichtbar. Was dem quirligen Leben im Halbdunkel der Gässchen und der exotischen Ausstrahlung jedoch keinen Abbruch tut.
Kamelkopf am Haken
Verkaufsstand reiht sich an Verkaufsstand. Gehandelt wird mit allem, was das Herz begehrt und der Geldbeutel hergibt. Goldschmuck und Taschen, Süßigkeiten und Bücher, farbenprächtige Gewänder und silberne Teekannen, Kupferschüsseln und exotische Gewürze. Dazwischen schieben hagere Burschen Brot in die Backöfen. Messerschärfer beugen sich über ihre Arbeit. Nebenan auf dem Djemaa Seffarine wird laut gehämmert. Kupferschmiede präsentieren ihr Können, während eine Vielzahl von Kesseln auf Käufer warten. Auch kunstfertige Teekannen, Schälchen und Gefäße gibt es im Übermaß. Ein paar Gassen weiter staune ich über goldene Throne. „Die haben Schreiner für Hochzeiten gemacht“, klärt mich Mustafa an.
An einem Stand baumelt über all dem Trubel ein Kamelkopf am Haken. An einem anderen betrachtet eine Katze sehnsüchtig das üppige Fischangebot. Ich hoffe sehr, dass der Händler ein Herz für die hungrige Mieze hat. Düfte von überall her hüllen mich ein.. Es schnuppert nach Gewürzen, frischem Gebäck und gebratenem Fleisch. Mir läuft das Wasserim Mund zusammen. Auch Parfümfahnen wehen plötzlich zu mir herüber.
An jeder Biegung des überdimensionalen Handelsplatzes, der etwa der Größe von 400 Fußballfeldern entspricht, erwartet mich ein neuer Hingucker. Neugierig nach allen Seiten schauend, lasse ich mich durch diese quirlige Medina treiben. 9.000 Gässchen soll sie haben. Mit insgesamt 600 Gassenkilometern. Unvorstellbar. Da bin ich froh, dass ich Mustafa an meiner Seite habe. Weil ich ohne ihn orientierungslos wäre im Labyrinth von Fès.
Tee und Teppiche
An die unaufhörlichen Balak-Rufe, die augenblicklich eine Schneise ins Gewimmel schlagen, habe ich mich schnell gewöhnt. Routiniert drücke ich mich dann an die erdbraunen Wände. Oder ich springe in Lädchen, weil ich den Weg freimachen will. Wenn ich wenig später zurückschaue in die wirklich engen Gassen, erhasche ich grad noch einen Blick auf Mensch oder Esel, wie sie mit ihrer Last von der Menge verschluckt werden. Ein Glück, dass Autos in der Medina nicht fahren dürfen.
Während der Exkursion bestaune ich immer wieder kunstvoll gearbeitete Brunnen, gepflegte Innenhöfe und die aufwändigen Mosaike der Qarawiyin-Moschee. Mit 16.000 Quadratmetern Fläche gehört sie zu den größten in Nordafrika. Der Zugang ist mir allerdings verwehrt, weil ich keine Muslimin bin.
Dafür bin ich in den Handwerksstätten willkommen. In einer Weberei schaue ich zu, wie prächtige Stoffe entstehen. Ich blicke Schuhmachern über die Schultern, die grad aus senfgelbem Leder Pantoffeln herstellen. Weil ich so ein Taschenfan bin, deshalb lasse ich mir auch erklären, wie man so ein wichtiges Accessoire macht. Anschließend bewundere ich die Fingerfertigkeit der Silberschmiede, die Muster auf Teller und Kannen ziselieren. Das Angebot an orientalischen Lampen ist wirklich üppig. Hier könnte Aladin durchaus seine Wunderlampe erstanden haben. Bei einem Teppichhändler trinke ich Tee. Er präsentiert mir wortreich die prächtigen Bodenbedecker. Trotzdem ziehe ich ohne Teppich weiter. Ich brauche halt grad keinen.
Gerber in Farbbottichen
Später klettere ich mit Mustafa ein paar Treppenstufen hoch und stehe auf einer Dachterrasse. Ein penetranter Geruch weht mir entgegen. „Willkommen im Reich der Gerber“, spricht Mustafa. Theatralisch breitet er beide Arme aus. „Hier werden Tierhäute gesäubert, eingeweicht und gefärbt. Ort und Arbeitsweise haben sich seit dem Mittelalter kaum verändert“, erzählt der Marokkaner. Ich schaue auf das Gewimmel unter mir.
Dicht an dicht stehen zwei, drei Geschosse tiefer und eingeklemmt zwischen Hauswänden große Lehmbecken. Gefüllt sind die mit den unterschiedlichsten Naturfarben. Auf den Rändern balancieren trittsicher Männer mit Tierhäuten auf den Schultern. Einige Gerber stehen bis zu den Knien in der Farbbrühe. Sie drehen mit ihren Händen oder Stöcken die Häute, um sie gleichmäßig zu färben. Ich ahne die Strapazen und bin froh, als ich wenig später an einem der Stadttore stehe. Hinter dem wartet auf mich wieder die Gegenwart. Als Kontrastprogramm zu meinen Erlebnissen im Labyrinth von Fès will ich mir noch den Königspalast anschauen. Vielleicht klopfe ich auch mal an die riesige goldene Tür mit dem kunstvollen Blütenmuster. Ob mir aufgetan wird?
Marokkos vier Königsstädte
Fès, Marrakech, Meknès, Rabat – allen vier Königsstädten Marokkos statte ich einen Besuch ab. Und zwar im Rahmen einer einwöchigen Rundreise durch das Land. Start und Endpunkt ist Agadir, die weiße Stadt am Atlantik. Auf dem Weg nach Rabat mache ich Halt in Casablanca. Zu den Sehenswürdigkeiten der größten Stadt Marokkos zählt die Hassan-II.-Moschee. Sie gehört zu den weltgrößten Moscheen. Auch ihr Minarett ist beachtlich. Mit etwa 200 Metern ist es das zweithöchste der Welt. Nur die Große Moschee in Algier ist noch höher. Ein Hingucker sind die vielen Mosaike, denn sie zeugen von hoher Handwerkskunst.
Unvollendete Moschee in Rabat
Nach dem Gewusel im Labyrinth von Fès begrüßt mich Rabat reichlich entspannt. Obwohl in der Landeshauptstadt fast 600.000 Menschen leben, habe ich das Gefühl, in einer Kleinstadt angekommen zu sein. Laut und pulsierend, das überlässt die zweitgrößte Stadt Marokkos lieber anderen Orten. Ohne Hektik kann ich also die Metropole erkunden, in der auch der amtierende König Marokkos zuhause ist.
Dass es mich zuerst zum Hassan-Turm zieht, ist wohl klar. Schließlich ist er das weithin sichtbare Wahrzeichen Rabats. 80 Meter sollte das Minarett, mit dessen Bau Ende des 12. Jahrhunderts begonnen wurde, einmal stolz in den Himmel ragen. So war der Plan. Drin, so wird erzählt, mit einer Rampe, auf der der Muezzin hätte nach oben reiten können, um zum Gebet zu rufen. Doch dann starb der damalige Herrscher und Auftraggeber. Mit seinem Tod und dem Zerfall des Reichs endeten auch die Bauarbeiten, sodass der Turm heute nur 44 Meter misst. Unvollendet blieb auch die Große Moschee. Sie sollte die größte Nordafrikas werden. Mit einem überdachten Gebetssaal, in dem sich 50.000 Gläubige hätten versammeln können. Ein Erdbeben zerstörte Teile der nicht fertiggestellten Moschee. Nur einige Mauern aus Stampflehm sind geblieben. Was erhalten blieb, ist dennoch sehenswert.
Ein Wald aus Säulen
Neugierig passiere ich einen Mauerdurchbruch, der von zwei Wachleuten in roter Uniform und hoch zu Ross flankiert wird. Das sogenannte Hassan-Quartier mit dem Minarett grüßt mit einem Wald aus verschieden hohen Säulen. Mit Einheimischen und Touristen flaniere ich auf der Esplanade zwischen den Säulenstümpfen hindurch, weil es mich zum schneeweißen Mausoleum mit dem grünen Dach zieht. Im Innern befindet sich die mit weißem Carrara-Marmor abgedeckte Begräbnisstätte von König Mohammed V. Bewacht wird das imposante Grab-Gebäude an den schmalen Zugängen von Soldaten. Die tragen über ihren schicken knallroten Uniformen weiße Umhänge. Was die jungen Männer zu begehrten Fotomodels macht.
Kunstvoll verzierte Türen
Eine Vielzahl anderer Hingucker entdecke ich später auch im Kasbah-Viertel Oudaias. Es liegt auf einem Felsen an der Flussmündung des Bou-Regreg in den Atlantik. Der gewaltige Festungsbau ist zwar ein Hingucker, aber mehr noch interessieren mich die unzähligen winzigen Gässchen, die von der Hauptgasse abzweigen. Sie sind das ganze Gegenteil von dem, was ich im Labyrinth von Fès erlebt habe. Kaum einer Menschenseele begegne ich zwischen den kleinen weiß und kobaltblau getünchten Häuschen. Nur ein paar Kinder beobachten mich, wie ich eine überdimensionierte und kunstvoll verzierte Tür nach der anderen fotografiere. Selbst der kleine weiße Hund an der braunen Pforte scheint baff zu sein, dass sich Leute für seinen Hauseingang interessieren.
Briefträger kennt alle
Obwohl sichtlich alt, wirkt das Festungsviertel gepflegt. Und einladend, wenngleich manche Fenster vergittert sind. Einige Häuschen scheinen auf den ersten Blick unbewohnt. Dass sie es nicht sind, davon zeugt die flatternde Wäsche. Straßennamen scheint es hier so gut wie keine zu geben. Wahrscheinlich kennt der Postbote jeden Einwohner des Quartiers persönlich. In der Kasbah, die wie die gesamte Medina von Rabat zum Weltkulturerbe gehört, fühle ich mich echt wohl. Und ich brauche auch keinen Guide wie Mustafa aus Fès. Denn ich finde mich hier, anders als im Labyrinth von Fès, alleine zurecht. Später gehe ich noch ein paar Schritte die Uferpromenade entlang, weil die Sonne grad so schön scheint. Auf dem Wasser vor der Medina herrscht Hochbetrieb. Weiße Segelboote gleiten über den Fluss. Und darüber spannt sich der wolkenlose blaue Himmel.
Prunktor in Meknès
Nächste Station meiner Reise ist Mèknes. Schon von weitem grüßt die gewaltige Stadtmauer. Wenig später stehe ich vor dem wohl schönsten Stadttor Marokkos. Das überaus dekorative Prunktor Bab Mansour wurde 1732 vollendet. Der zugleich größte Torbau der Mahgreb-Staaten ist mit schönen Kachelmosaiken geschmückt. So wie auch das etwas kleinere, 12 Meter hohe Bab Khemis. Ein Zinnenkranz bildet dort den oberen Abschluss der zehn Meter breiten Schaufassade. Genau wie Bab Mansour zählt der Torbau seit 1996 zum Weltkulturerbe.
Zurück zum Bab Mansour. Die Marmorsäulen, die die seitlich vorspringenden Pfeiler stützen, stammen wahrscheinlich aus der antiken Römerstadt Volubilis. Die liegt nicht mal 30 Kilometer von Meknès, der kleinsten der vier Königsstädte, entfernt. Warum also sich nicht auch dort mal umschauen? Schließlich gibt es da ein weiteres Weltkulturerbe zu sehen.
Störche im Trümmerfeld
Auf dem Weg zu den Überresten der einst blühenden Römerstadt mit 10.000 Einwohnern geht es durch eine hügelige wie grüne Landschaft. Olivenhaine mit stattlichen Bäumen prägen das Bild. Es grünt auch zwischen den Ruinen von Volubilis. Die Natur erobert sich ihr Revier zurück. Sozusagen im Flug haben Weißstörche die zerstörte römischen Provinzhauptstadt übernommen und nisten auf den schlanken Säulen. Die ragen zwischen dem Trümmerfeld in den blauen Himmel. Nur der antike Caracalla-Bogen scheint einigermaßen intakt.
Abschied in Marrakesch
Was wäre eine Marokko-Rundreise, ohne einen Stop in Marrakesch einzulegen. Die Medina, die ebenfalls zum Weltkulturerbe gehört, ist die wohl bekannteste Altstadt des Landes. Das verdankt sie auch dem legendären Djemaa el Fna. Besser bei deutschen Urlaubern bekannt als Platz der Gaukler. Auf dem weitläufigen Platz fühle ich mich wieder wie im Labyrinth von Fès. Alles was Beine hat, scheint sich hier versammelt zu haben. Und umringt die vielen Verkaufsstände. Dazwischen Schlangenbeschwörer, bei Touristen um fotografische Aufmerksamkeit buhlende Wasserträger und Musiker. Dieses bunte Treiben einsaugend, verabschiede ich mich von Marokko. Ein letzter Gruß geht an den Storch auf dem El-Badi-Palast. Wenn es für ihn Zeit ist, wird er sicherlich sein Nest verlassen und mir in den Norden folgen.
Toller Reisebericht!
Im Gedanken habe ich mich der Exkursion mit Mustafa angeschlossen.
Phantastische Erlebnisse, an die ich gern denke.