Das idyllische Chateau Chenonceau gilt als eines der schönsten Schlösser Frankreichs. Und auch als eines der meist besuchten des Landes. Das malerische Renaissance-Schloss, das zugleich als Brücke über den Cher fungiert, gehört zu den mehr als 400 Schloss-Anlagen entlang der Loire und ihren Nebenflüssen. Ein Drittel davon steht Besuchern offen. Zwölf dieser sehenswerten Bauten samt ihrer wunderschönen Gartenanlagen habe ich besucht.
Steinerne Wächter
Das idyllische Chateau Chenonceau hält sich versteckt. Wer es entdecken will, muss erst durch eine 300 Meter lange Platanen-Allee schlendern. Fast eine Million Menschen, so viele Besucher zählt das berühmte Loire-Schloss jährlich, wollen das. Ich auch. Meine Besichtigung von Schloss, Park und Gärten habe ich mit Bedacht gewählt. Frühmorgens, gleich nach Öffnung des weitläufigen Areals. Was von Vorteil ist. Das merke ich schon bei den beiden steinernen Sphingen hinterm Eingang. Vor mir liegt die menschenleere Allee. Niemand läuft ins Bild. Der erste Grund zur Freude.
Traumhaftes Wasserschloss
Wenig später, am Ende der Platanen-Allee, wandelt sich meine anfängliche Freude in Begeisterung. Vor mir liegt das idyllische Chateau Chenonceau. Es reckt seine Türmchen und Schornsteine munter in den grauen Himmel. Mir kommt bei diesem Anblick sofort Dornröschen in den Sinn. Das märchenhafte Schloss hätte durchaus die Bleibe der hübschen Langschläferin gewesen sein können. Allerdings, statt eines störrischen Rosendickichts ringsum, umspült hier das Wasser des Cher die betagten wie kompakten Mauern. Und als ob der bezaubernde Anblick dieses Meisterwerks der Renaissance nicht schon ausreichen würde, projiziert der Nebenfluss der Loire kopfüber Chenonceau Nummer zwei auf seine spiegelglatte dunkle Wasseroberfläche. Wer jetzt nicht zur Kamera greift, ist selber schuld. Zumal der Besucher von dieser seitlichen Position aus auch die nachträglich angebaute Brücke mit ihren fünf Bögen gut im Blick hat. Sowie die darauf errichtete zweigeschossige Galerie. Auch die gefällt sich als Spiegelbild im Wasser des Cher.
Wie ein Kreuzfahrtschiff
Auf dem Weg zum mächtigen Schloss-Portal begrüßt mich zunächst der trutzige Bergfried der Vorgängeranlage. Der im unteren Teil von Grün umrankte dreigeschossige Turm steht auf einer dem Schloss vorgelagerten Insel. Bevor ich aber über die kleine Brücke zur Hauptattraktion laufe, wende ich mich erst noch nach links. Der kleine Seitensprung lohnt. Denn von hier betrachtet sieht Chateau Chenonceau aus wie ein gewaltiger Ozeandampfer. Die kurze Brücke zum Schloss mutiert in meiner Phantasie zur Gangway, auf der sich die Kreuzfahrt-Passagiere schon in Grüppchen sammeln, um an Bord zu gehen. Zeit, mich jetzt unter sie zu mischen, damit ich nicht den Anschluss verliere. Denn auch ich will schauen, wie eines der berühmtesten und schönsten Loire-Schlösser im Innern aussieht. Ein Flügel der grünen wappengeschmückten Doppeltür steht bereits offen. Also dann nichts wie hinein! Das idyllische Chateau Chenonceau will erobert werden.
Gelebt, geliebt, gelitten
Ich trete mit der Gruppe ins Vestibül und schon startet dank eines Schloss-Auskenners der Ausflug in die Geschichte von Chateau Chenonceau. Die wurde über Jahrhunderte vornehmlich von Frauen geschrieben, die hier lebten, liebten, feierten und trauerten. Und die auch dem Schloss sein Gepräge gaben. Deshalb trägt das architektonische Meisterwerk den Beinamen Chateau des Dames. Der Tourismusführer zählt an vier Fingern auf.
Da war also zuerst Madame Catherine Briçonnet, die Frau des königlichen Finanzsekretärs Thomas Bohier. In dessen Abwesenheit entstand unter ihrer Regie diese Perle unter den Loire-Schlössern. Der emsigen Dame folgte Diane de Poitiers, die Mätresse von König Heinrich II. Der schenkte seiner 19 Jahre älteren Geliebten in seinem Krönungsjahr 1547 das hübsche Wasserschloss. Diane richtete sich hier wohnlich ein. Auf ihr Geheiß hin wurde das Schloss um eine Brücke über den Cher erweitert und ein Garten mit seltenen Pflanzen angelegt. Heinrichs Ehefrau Caterina de Medici hatte da schon ein Auge auf das hübsche Wasserschloss ihrer Rivalin geworfen. Und als der Gatte starb, war der Weg frei: Caterina zwang Diane, es gegen Chateau Chaumont einzutauschen. So kann´s einem ergehen.
Treffpunkt der Elite
Zurück zu Caterina. Nach ihrem Einzug ließ die Witwe eine zweigeschossige Galerie auf Dianes Brücke bauen und Lustgarten Nummer zwei anlegen. Jahre später bewohnte Louise de Lorraine-Vaudemont, Caterinas Schwiegertochter, das herrschaftliche Anwesen. Von ihr jedoch kamen keine Impulse, Chenonceau zu verändern. Stattdessen trauerte die Witwe hinter den dicken Mauern um ihren ermordeten Gatten, Heinrich III. Frischer Wind wehte erst 1733 wieder, als Claude und Louise Dupin das Wasserschloss erwarben. Madame Dupin machte das Anwesen zum Treff der geistigen Elite Frankreichs. Namen wie Jean Jacques Rousseau, Voltaire und Montesquieu sind mit dem Ort verknüpft. Der hübschen wie geistreichen Madame ist es außerdem zu danken, dass das Chateau während der Französischen Revolution nicht zerstört wurde.
Kostbares an den Wänden
So kann sich der heutige Besucher über ein intaktes Schloss freuen. Das gilt für außen wie auch für innen. Im Gegensatz zu Chateau Chambord, das ich mir tags zuvor angeschaut habe, ist in Chenonceau erfreulicherweise jedes Zimmer möbliert. Zu bestaunen gibt es Kostbares. Etwa die Gemälde von Tintoretto oder Rubens sowie herrliche flämische Tapisserien aus dem 16. Jahrhundert. Nicht zu vergessen die schönen Renaissance-Möbel. Besonders angetan bin ich von dem Kaminzimmer. Die Wände sind mit knallig roter Stofftapete bespannt. Neben dem Kamin hängt ein goldgerahmtes Porträt von Ludwig XIV. Schau an, der schon wieder. Auf des Sonnenkönigs Spuren bin ich doch schon auf Chateau Chambord gestoßen.
Nicht weniger Eindruck auf mich machen das Zimmer von Diane de Portiers mit der kostbaren Wandbespannung und dem grünen Baldachin-Bett sowie das Schlafgemach von Caterina de Medici. Auch in diesem Raum ist die außergewöhnliche Tapisserie ein Hingucker. Ja, hier lässt es sich wirklich aushalten.
Blick auf herrlichen Garten
Caterinas eigenwillig geschnittenes kleines Arbeitszimmer gefällt mir. Aus einem der drei über Eck angeordneten Fenster schaue ich auf einen herrlichen Garten. Caterina dürfte diese Aussicht damals wohl weniger gefallen haben. Denn dort unten blühte der Garten ihrer einstigen Rivalin. Auch das Vestibül im Dachgeschoss lohnt einen Blick. Die gerundete Balkendecke im Kontrast zu den kühlen dunklen Fliesen machen hier den besonderen Reiz aus.
Topfgucken erwünscht
Was ist das idyllische Chateau Chenonceau ohne Küche? Nichts. So treibt mich die Neugier eine ebenso schmale wie steile Treppe hinab in das Reich von Köchen und Mamsellen. Mich grüßen blank gewienerte Kupfertöpfe und Pfannen, die fein sortiert an den Wänden hängen. Allerorten Schränke und Regale mit Gerätschaften. Im Zentrum der Küche steht ein wuchtiger Herd mit Abzug. Ihm gegenüber an der Wand hat mal das Feuer im Kamin gelodert und das Wild wurde an Spießen gedreht. Von hier also kamen die Köstlichkeiten, von denen dereinst auch Jean-Jacques Rosseau schwärmte. Der war als Hauslehrer bei den Dupins angestellt und pries die Küche des Hauses, die ihn dick werden lasse wie einen Mönch. Kann ich mir gut vorstellen, dass von hier so manche Köstlichkeiten den Weg nach oben in die Gemächer und zu den opulenten Feiern in der Galerie gefunden haben.
Galerie auf zwei Etagen
Apropos Galerie. Das zweigeschossige Gebäude, das Caterina de Medici auf Dianes Bogenbrücke errichten ließ, will ich mir auch noch anschauen. Also steige ich aus dem Keller wieder steil hinauf ins Erdgeschoss. Von dort geht es zur unteren Galerie. Im Gegensatz zu den prächtigen Räumen des Schlosses wirkt der 60 Meter lange Anbau, wo einst opulente Feste gefeiert wurden, auf mich eher kühl. Als Geometrie-Fan gefällt mir dafür aber im unteren Geschoss der Fußboden aus schwarzen und weißen Fliesen. In den Nischen stehen heute Pflanzen, früher wohl Skulpturen.
Am Ende der sechs Meter breiten Galerie befindet sich ein Kamin. Ein Feuer prasselt nicht darin. Denn genau hier gibt es einen mit einer Tür versperrten Ausgang an das linke Ufer des Cher. Was von Vorteil war im Zweiten Weltkrieg, ist vom Rundgangsleiter zu erfahren. Denn das idyllische Chateau Chenonceau mit seiner Galerie wurde zwei Jahre lang als Fluchtweg aus dem Gebiet deutscher Besatzung in die freie Zone Frankreichs genutzt.
Alles echt in Vasen und Gefäßen
Eine Augenweide im Chateau Chenonceau ist auch die üppige Blumendekoration. Ob im Vestibül oder in den Räumen der Damen – überall begeistern die Buketts mit ihrer Farbenpracht. Ich frage mich, ob das Kunstblumen sind und klar, ich prüfe. Tatsächlich: Die Blüten sind alle echt. Später erfahre ich, dass ein Floristen-Team zweimal pro Woche für frische Blütenkreationen aus der schlosseigenen Gärtnerei sorgt. Mehr als 60.000 Pflanzen werden jede Woche also zu rund 200 Gestecken arrangiert. Alle Achtung! Wer Freude an Blumen hat, wird im Wasserschloss garantiert auf seine Kosten kommen.
Grüne Oasen in Harmonie
Nach dem Rundgang durch alle Etagen des Dornröschen-Schlosses zieht es mich wieder hinaus. In den Park und vor allem in die Gärten von Diane und Caterina. Welcher der beiden der schönere ist, in diesen Streit der einstigen Rivalinnen mag ich mich nicht einmischen. Ganz vorurteilsfrei schlendern ich also durch beide Anlagen. Die sind übrigens auf ummauerten Terrassen angelegt. Die dicken Mauern schützen die Gärten seit Jahrhunderten vorm Hochwasser des Cher.
Zuerst spaziere ich durch Dianes Garten. Nordöstlich des Schlosses lockt die 12.000 Quadratmeter große Terrasse zum Flanieren. Alle acht Wege streben von den Ecken des Areals und den vier Seiten strahlenförmig einer Mitte zu. Die besteht aus einem Rondell mit einer sechs Meter hohen Fontäne. Angeblich, das hatte ich irgendwo mal gelesen, soll diese zur damaligen Zeit wohl einmalig gewesen sein. Wie auch immer. Der in acht Areale geteilte Garten ist eine Augenweide, ein stimmiger Wechsel von Rasengrün und bunten Blumen.
Wege zum Zentrum
Dieser stillen Schönheit steht der Garten von Caterina de Medici auf der gegenüberliegenden Terrasse in nichts nach. Etwas kleiner von der Grundfläche und trapezförmig geschnitten, schneiden ihn Wege in vier ungleich große Teile. Jeder der geraden Pfade strebt auch hier einem Zentrum zu, ein kreisrundes Wasserbecken, 15 Meter im Durchmesser. Wem das noch nicht genug Auslauf im Grünen ist, kann anschließend noch durch den angrenzenden 70 Hektar großen waldreichen Park streifen.
Für mich heißt es jetzt aber Abschied nehmen vom Chateau Chenonceau. Wenn ich Prinzessin wäre, würde ich dieses Kleinod unter den Loire-Schlössern als Bleibe wählen. Doch ich bin keine Prinzessin. Deshalb zieht es mich weiter.
Die Sphinx am Wassergraben, die mit ihrer Kollegin den Zugang zum Park bewacht, würdigt mich auf dem Rückweg keines Blickes. Ich bin nicht nachtragend, mache stattdessen noch ein Foto von dem steinernen Wächter. Schon lockt das nächste Ziel. Mich zieht es zum Chateau Chaumont. Ich bin nämlich neugierig, ob sich der erzwungene Schlösser-Tausch für Diane de Poitiers gelohnt hat.
Reiseinformationen:
Wie an einer Perlenschnur aufgereiht – die Schlösser der Loire. Als Einstieg von Paris aus kommend besuchte ich am ersten Tag meiner sechstägigen Schlösser-Tour Chambord und Cheverny. Am zweiten Tag knöpfte ich mir gleich drei Stationen vor: das idyllische Chenonceau, Chaumont und Amboise. Von meinem Hotel in Amboise zog es mich am dritten Tag nach Villandry, Azay-le-Rideau und Tours. Den vierten Tag schaute ich mir die Burg Sully und das Kloster St. Benoit an. Tag fünf verbrachte ich in Chinon, Rivau und Fontevraud. Den Höhepunkt meiner Reise bildete am letzten Tag ein Besuch im königlichen Blois.
Da es an Schlössern und Burgen und hübschen Städtchen im Loire-Gebiet nun wirklich nicht mangelt, kann man sich die Liste der zu besuchenden Sehenswürdigkeiten nach Gusto selbst zusammenstellen. Wer sich lieber auf professionelle Unterstützung verlassen will und gern in der Gruppe unterwegs ist, der findet bei den verschiedensten Reiseanbietern Pauschalreisen zu den schönsten Loire-Schlössern.
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