Nördlich von Leipzig liegt das Schloss Delitzsch. Errichtet auf den Festen einer mittelalterlichen Wasserburg gilt es als eines der ältesten Schlösser im Nordwesten von Sachsen. Zunächst nutzten es die Herzöge von Sachsen-Merseburg als Reiseresidenz. Später wurde es Witwensitz für die Herzoginnen. Heute laden prächtig ausgestattete Appartements zu einem Rundgang durch das Barock-Juwel in Delitzsch ein. Zu dem gehört auch ein kleiner aber feiner Lustgarten nach französischem Vorbild.
Später Glanz
Stets aufs Neue bin ich erstaunt, wieviele Juwelen in meiner Nähe funkeln und ich nehme ihren Glanz erst ziemlich spät wahr. So verhält es sich auch mit dem pastellfarbenen Schlösschen in Delitzsch. Nicht, dass mir die Kreisstadt inmitten einer weiten Seenlandschaft unbekannt wäre. Schließlich habe ich mit den Jahren so manchen Pralinenschachtel-Inhalt, der hier produziert wurde, gefuttert. Jetzt aber steht mir nicht der Sinn nach Schokis. Mein alleiniges Interesse gilt dem Barock-Juwel in Delitzsch, vor dem ich gerade stehe. 100 Fenster soll das Schloss besitzen. Mag gut sein. Gezählt habe ich sie aber nicht. Auf dem Weg über die schmale Brücke grüßt mich ein dekoratives Stifterportal, gekrönt von einem Wappen.
Wilhelm I. von Meißen war es, der Delitzsch im 14. Jahrhundert das Stadtrecht verlieh und der hier eine Wasserburg errichten ließ. Nur der Wehrturm rettete sich über die Zeiten. Die einstige Burganlage wurde ab 1540 zunächst zum Renaissanceschloss umgebaut. Das nutzten die sächsischen Adligen als Reiseresidenz. Im 17. Jahrhundert zogen in Folge die herzoglichen Witwen von Sachsen-Merseburg in das Gebäude ein. Das wurde dem zeitlichen Geschmack angepasst und zum Barockschloss umgestaltet.
Fasane baumeln von der Deckel
Wenn man zu jemanden zu Besuch kommt, schaut man ja nicht unbedingt als erstes in die Küche. Doch beim Rundgang durch das sächsische Witwenschloss kommt der Besucher nicht umhin. Bevor es in die gute Stube des Hauses geht, darf man erst mal in die Töpfe gucken. Denn die Küche befindet sich im Erdgeschoss. So verschwinde denn auch ich gleich nach dem Betreten des Schlosses erst mal in der großen Küche.
Hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Der lichtdurchflutete Raum, der früher wahrscheinlich als Silberkammer genutzt wurde, versammelt eine Vielzahl historischer Utensilien, die über die Jahrhunderte für die Zubereitung von Speis´ und Trank genutzt wurden. Im gemauerten Herd hängt ein Kupferkessel. Ringsum stehen Gefäße. In der Mitte des Raums baumeln ein Hase und zwei Fasane von der Decke. Nahe am Herd hängen griffbereit in Reih und Glied allerlei Pfannen. Auch eine Waage gehört zum Inventar. Ebenso wie Holzfässer und eine Presse.
Himmlisches Orchester
Eine steinerne Treppe führt mich in die Beletage des Schlosses. Hier reihen sich die prächtig ausgestatteten Appartements und Säle. Historisches Mobiliar und Gemälde buhlen um Aufmerksamkeit. Wie Kunstwerke wirken auf mich auch die überschwänglich gestalteten kostbaren Tapeten. Das karmesinrote Wanddekor im Barocksaal beispielsweise soll auf dem Handwebstuhl der Burg Giebichenstein in Halle gefertigt worden sein. Eine goldene Flechtgirlande schmückt die den Fenstern gegenüberliegende Wand im Saal. In dem stehe ich jetzt. Durch die geöffnete Tür sehe ich die Zimmerfluchten. Erst einmal interessiert mich aber die Wand mit den musizierenden Engelsfiguren. Ein goldiges himmlisches Orchester auf rotem Stoff. Mein Blick fällt auch auf die beiden Porträts am Eingang. Sie zeigen zwei ehemalige Bewohnerinnen des Witwenschlosses: die Damen Christiane von Sachsen-Merseburg und Henriette Charlotte von Sachsen-Merseburg.
Dekorativer Marmorkamin
Im Vorgemach mit der blauen Ananas-Tapete und den Porträts der fürstlichen Herrscher und ihrer Gemahlinnen verweile ich nur kurz. Es zieht mich in das Audienz-Zimmer. Das hat so manche Hingucker. Die historischen Möbel etwa oder die hübsche Wanduhr mit dem Frauen-Porträt. Besonders gefällt mir im Wohn- und Empfangsraum der feinen Damen der schwarze Marmorkamin. Er füllt eine Raumecke und hat einen repräsentativen weißen Aufsatz mit Delfter Fayencen. Wirklich ein Prunkstück. Auch das dekorativ verlegte Plattenparkett mit Intarsien verdient mehr als nur einen Blick. Ich postiere mich auf den Bodenstern in der Zimmermitte und stelle mir vor, wie die Herzogin-Witwe Christiane dereinst mit ihren weiten Röcken über das Parkett gerauscht ist. Dabei fällt mein Blick auf die Tapete mit den fröhlich-bunten Blumenranken. Wie in den anderen Räumen, so sorgt auch hier die Wandgestaltung für eine bunte Phantasiewelt. Gefällt mir.
Ankleiden ohne Gänsehaut
Im Ankleidezimmer nehme ich zuerst den kostbaren Paravent unter die Lupe. Gefertigt aus Leder, ist er beidseitig mit romantischen Szenen bemalt. Und er verbirgt eine kleine Toilettennische. Auf einer Kommode entdecke ich eine Glasschale in Muschelform. Natürlich gibt es im Ankleidezimmer auch einen Barockspiegel. Und einen eisernen Ofen. Damit Christiane und Co. im Winter beim An- und Auskleiden keine Gänsehaut bekamen.
Mit grüngemusterter Tapete präsentiert sich das fürstliche Schlafzimmer. Den kleinen Raum dominiert ein barockes Polsterbett mit Baldachin. Getragen wird er von vier gedrehten Säulen. Die Vorhänge sind aus rotem Samt. Goldene Fransen und Tressen erzählen von Luxus. Die Parkett-Einlegearbeit vor dem Bett verrät mir, wer im Zimmer einst schlief. CW steht für Christiane Witwe. Dazu noch der Hinweis, wann das Parkett verlegt wurde – nämlich 1692. Vom Fenster aus ist der Schlossgarten zu sehen. Aber den schaue ich mir später an. Erst noch ein Blick in das fürstliche Speisezimmer. Und das gefällt mir ausnehmend gut.
Garten in schönster Symmetrie
Der quadratische Schlossturm reckt sich 50 Meter in die Höhe. Er wurde bereits im Mittelalter aus Backstein errichtet und fungierte in der einstigen Wasserburg als Wehrturm. Später wurde er verputzt und erhielt 1695 seine zwiebelförmig gestaltete Kupferhaube. Von hier oben habe ich eine treffliche Aussicht auf einen Teil der Stadt. Und natürlich auf den schon erwähnten Barockgarten. Den ließ übrigens die herzöglichen Witwe Christiane von Sachsen-Merseburg 1692/93 anlegen. Gestaltet nach französischem Vorbild erfreut mich der grüne Pflanzenkreis mit seine Symmetrie. Ich bin froh, dass ich die Stufen hochgestiegen bin. Natürlich lohnt auch unten der Lustgarten mit seinem akkurat ausgerichteten Baumspalier. Bei meinem Spaziergang tummelt ich grad eine Hochzeitsgesellschaft im Schatten der Bäume. Denn das Barock-Juwel in Delitzsch mit seinem Trauzimmer gilt bei Heiratswilligen als beliebte Adresse.
Nicht nur Schokoladenseiten
Vor dem Genuss der schönen Aussicht, kann sich der Besucher auf den Zwischenetagen des Turms umschauen. Auf dem recht begrenzten Platz informieren kleine Ausstellungen über die Stadtgeschichte von Delitzsch. Dass die Schokoladen-Kreationen aus neuerer Zeit nicht fehlen dürfen, ist selbstverständlich. Schließlich galt die Stadt in der DDR als wichtiger Süßigkeiten-Produzent. In Vitrinen sind denn auch Verpackungen von Weinbrandbohnen, Katzenzungen, Pralinenselektionen zu sehen sowie Tafeln von Mokka über Sahne bis zur sogenannten Hausmarke. Ich gebe es zu: Ich kenne sie alle, die ehemaligen Produkte aus dem VEB Kombinat Süßwaren Delitzsch.
Was ich bisher nicht wusste: Das Barock-Juwel in Delitzsch hat nicht nur Schokoladenseiten. Sondern auch ein dunkles Kapitel. So ließ die preußische Regierung im 19. Jahrhundert das damals leerstehende Anwesen als Gefängnis herrichteten. In den Jahren 1860 bis 1926 verbüßten hier verurteilte Frauen ihre Haftstrafen.
Tips für Schlösser-Touren
Sehr empfehlen kann ich neben dem Barock-Juwel in Delitzsch auch einen Besuch des Barockschlosses Friedenstein in Gotha. Hier dürfte das Ekhof-Theater für Staunen sorgen. Ein schönes Ausflugsziel nicht nur für Fans des Kult-Films „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ ist das Schloss Moritzburg bei Dresden. Im Thüringischen, in Rudolstadt, will die Heidecksburg von Ausflüglern erobert werden. Für die dortige Miniaturausstellung von barocken Schlössern sollte man sich Zeit nehmen. Es lohnt sich wirklich.
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