Nein, er ist es nicht. Auch wenn er so gekleidet ist wie viele Sprayer aus der Graffiti-Szene. Der junge Mann in Action mit Sprühdose auf dem Foto ist nicht der anonyme Streetart-Künstler Banksy. Und er ist auch keine lebende Figur, sondern Teil einer Installation. Und die gehört zu der Schau über das Werk der Ikone der bunten Szene: Banksy im Kunstkraftwerk Leipzig. Banksys Kunstform ist Streetart. Spraydosen, Farben und Schablonen sind seine Werkzeuge. Als Leinwände dienen dem Briten Fassaden, Garagenwände, Brücken und Türen.
Streeart auf drei Etagen
Das hätte ich mir denken können. Dass hier so ein Andrang herrschen wird. Selbst unter der Woche, etwa zur Mittagszeit. Wo sich jetzt eine Schlange an der Kasse windet. Nicht nur junge Menschen stehen nach Tickets an. Auch älteres Publikum, das ich eher in einer Galerie Alter Meister vermutet hätte, möchte sich Banksy im Kunstkraftwerk Leipzig ansehen, den Streetart-König aus England. Rund 150 Reproduktionen einiger seiner Werke geben auf drei Etagen Einblick in das Schaffen des gefeierten Künstlers. Darunter sind Graffiti, Fotografien, Drucke auf verschiedenen Materialien sowie Installationen. Sogar ein U-Bahn-Wagen ist aufgebaut.
So bekannt und erfolgreich Banksy auch ist, so wenig Biografisches weiß ich über den Star der Szene. Denn geschickt verbirgt sich der kreative Straßenarbeiter unter dem schützenden Mantel der Anonymität. Ich weiß lediglich, dass der Brite so um die 40 bis 50 sein soll und aus Bristol stammt. Bekannt sind mir einige seiner Pics und Stencils, die in rund 20 Ländern gesichtet wurden. Und seine Kreationen, die bei Auktionen stolze Preise erzielt haben.
Als Streetart-Fan lasse ich mir also Banksy im Kunstkraftwerk Leipzig nicht entgegen. Das ehemalige Heizkraftwerk bildet für die Wanderausstellung „The Mystery of Banksy – A Genius Mind“ eine treffliche Kulisse. Es ist ein Industriebau aus dem vorigen Jahrhundert mit unverputzten Backsteinwänden, Eisentreppen und hohen Decken.
Queen mit Zacken im Gesicht
Gleich zu Beginn der Schau begrüßt mich eine alte Bekannte. Okay, das Wort alt ist jetzt im Zusammenhang mit einer Majestät recht despektierlich. Ich meine alt natürlich im Sinne von bekannt. Die Dame in Schwarz-Weiß, die mir von der getünchten Wand entgegen lächelt, ist Queen Elisabeth in ihren jüngeren Jahren. Ihre gezackte Rot-blau-Bemalung kommt mir bekannt vor. Klar, das ist doch das Make-up von David Bowie in der Rolle des Außerirdischen Ziggy Stardust. Der Union Jack neben dem Queen-Portät, eine zerstörte rote Telefonzelle sowie ein Bobby machen deutlich, aus welchem Land Banksy stammt.
Zerstörerischer Rahmen
Nun geht es los. Etage für Etage treffe ich auf Banksys Arbeiten, von denen ich einige schon mal gesehen habe. Etwa vor einigen Jahren in einem Rigaer Hotel die Repro vom Stubenmädchen, das den Dreck hinter den Vorhang kehrt. Oder den „Steinewerfer“ mit dem Blumenstrauß. Und natürlich auch das Mädchen mit rotem Luftballon in Herzform. Ich erinnere mich: Was war das für ein Schock im Auktionshaus, als sich das gerade für 1,18 Millionen Euro versteigerte Bild vor aller Augen selbst zerstört. Dafür hatte ein im Bilderrahmen versteckter Schredder gesorgt. Die Szene kann der Besucher übrigens in der Ausstellung noch mal im Video erleben. Und das geschredderte Bild natürlich auch.
Einkaufswagen im Teich
Die Arbeiten der Streetart-Ikone wechseln auf Auktionen für viel Geld den Besitzer. Stattliche 8,4 Millionen Euro beispielsweise brachte bei Sotheby`s Banksys Neuinterpretation der japanischen Brücke von Claude Monet – das Original hängt in der National Gallery London – ein. Von Idylle kann bei Banksys Bild allerdings keine Rede sein. Im Seerosenteich treiben zwei umgestürzte Einkaufswagen und ein Verkehrskegel. Gedankenlos weggeworfen und die Umwelt versaut, kommt mir beim Betrachten in den Sinn. Nicht nur dieses seiner Werke macht auf Missstände aufmerksam, ist gesellschaftskritisch, wie ich in der Kraftwerksschau noch sehen werde.
Plüschtiere im Transporter
Da ist das ausdrucksstarke Bild vom weltbekannt gewordenen Napalmmädchen aus dem Vietnam-Krieg. Flankiert wird es von Mickey Mouse und McDonalds. Der Betrachter kann sich selbst einen Reim darauf machen, worauf Banksy im Kunstkraftwerk mit dem Bild anspielt. Eindeutig ist die beabsichtigte Aussage bei dem Bild der Wohlstandstouristen am Stand mit Esso-Behälter. Oder den Schlange stehenden Festival-Teilnehmern, die sich ein Shirt kaufen, um gegen den Kapitalismus zu protestieren. Da muss ich echt schmunzeln. Das Lachen vergeht mir allerdings beim Betrachten des Plüsch-Tiertransporters. Für mich persönlich ist es das Bild, das mir die stärksten und nachhaltigsten Emotionen entlockt.
Die sechsfache Kate Moss
Im Kunstkraftwerk treffe ich auch auf den einen oder anderen Promi aus Politik, Show-Geschäft, Malerei oder aus der Modebranche. Inspiriert von Andy Warhols Arbeiten hat Banksy dem britischen Model Kate Moss mit sechs farbigen Porträts ein Denkmal gesetzt. Auch Sid Vicious hat der Graffiti-Star verewigt. Der Bassgitarrist und Sänger des Sex Pistols schneidet in neunfacher Ausführung dem Betrachter eine Grimasse. In der pinkfarbenen Bildmitte prangt eine weiße Zielscheibe.
Killer mit Banane
Auch John Travolta und Samuel Jackson sind in einer Filmszene aus „Pulp Fiction“ zu sehen. Die finsteren Killer hat Banksy einfach entwaffnet und ihnen Bananen in die Hände gedrückt. Was mich amüsiert. Schmunzeln muss ich auch über das Porträt von Winston Churchill. Der grimmig dreinblickende Politiker in Schwarz trägt eine grellgelbe Irokesenfrisur. Auch Lenin auf Rollerblades, die bewaffnete Mona Lisa mit Zielscheibe auf der Stirn und die schwangere Demi Moore sind mit von der Partie. Demis Nackedei-Bild mit Baby-Bauch, 1999 aufgenommen von Star-Fotografin Annie Leibovitz, löste bei den Promis einen Nachahm-Boom aus. Es gehörte fortan zum guten Ton, wenn Krethi und Plethi aller Welt ihren Baby-Bauch präsentierten. Das mag Banksy wohl nicht gefallen haben. Wahrscheinlich hat Banksy seiner Demi deshalb einen Glimmstängel verpasst, mutmaße ich.
Ein Haus voller Affen
Und da ist sie schon wieder, die Queen. Diesmal als Affenporträt. Was wohl nicht als Beleidigung der Monarchin verstanden werden soll. Sondern vielmehr als ein Banksy-Hinweis, dass heutzutage jeder Affe ein hohes Amt bekleiden kann. Noch deutlicher spüre ich seine Kritik beim Betrachten des ziemlich großen Bildes, das das britische Unterhaus zeigt. Doch statt mit Politkern ist es mit Affen besetzt.
Asche auf der Zunge
Buchstäblich um die Ecke mit seiner Kritik an gesellschaftlichen Zuständen kommt Banksy im Kunstkraftwerk Leipzig mit seiner Arbeit „Season’s Greetings“. Zunächst verstehe ich die Kritik nicht, weil ich nur die Wand mit dem brennenden Behälter im Blick habe. Doch als ich zum Fotografieren ein paar Schritte rückwärts gehe, habe ich beide Seiten im Blick. Die brennende Tonne mit der dunklen Rauchwolke und dem weißen Ascheregen auf der linken Seite und rechts den Jungen, der mit rausgesteckter Zunge vermeintliche Schneeflocken auffängt. Diese Bildgeschichte hat Banksy in Port Talbot an die Garagenwand eines Stahlarbeiters gebracht. Hintergrund: In der kleinen Stadt in Wales befindet sich das größte Stahlwerk Großbritanniens. Wegen des Ascheregen-Ausstoßes beschweren sich die Anwohner ständig.
Fernsehgerät mit Herz
Ziemlich pfiffig finde ich die Reaktion der beiden spielenden Kinder, welche sich ein rotes Schild mit der Aufschrift „No Ball Games“zuwerfen. Damit setzen sie sich kreativ über die Regeln weg. Eltern beschäftigen sich heutzutage nicht immer genug mit ihren Zöglingen. Oftmals landet der Nachwuchs vor der Glotze. Das scheint auch Banksy zu stören. Sein Bild zum Thema zeigt ein Mädchen, das zufrieden lächelnd ein Fernsehgerät mit Herz an sich presst. Ist der Kasten etwa der Ersatz für Mutterliebe? Ein bisschen spooky sieht das grinsende Kleinkind aus. Es türmt Bauklötzchen übereinander. Einige sind umgefallen. Die Buchstaben auf den Klötzchen formen die Frage „Kill Mom?“ Auf den Untergrund tropft gelbe Farbe. Zum Glück hat sich Banksy nicht für rot entschieden.
Krankenschwester vs. Batman
Auch den gesellschaftlichen Wandel thematisiert der wohl berühmteste Graffiti-Künstler. Da ist beispielsweise das Bild „Game Changer“, das einen kleinen Jungen zeigt. Unbeachtet liegen Batman und Co. in einem Korb. Dafür spielt der Knabe mit der neuen Superheldin – einer Krankenschwester in Tracht. Das Gemälde entstand während der Corona-Zeit und wurde 2021 für die stattliche Summe von umgerechnet 19,5 Millionen Euro versteigert.
Kinderarbeit gehört an den Pranger. So zeigt ein Bild in der Leipziger Schau einen Jungen an der Nähmaschine. Der stellt wie am Fließband kleine britische Flaggen her. Die Fähnchen auf Banksys Bild finden ihre Fortsetzung im Ausstellungsraum, wo sie sich an einer Schnur auch über Rohre winden. Sehr wirkungsvoll.
Lauscher vor der Kabine
Hereinspaziert, hereinspaziert. Ein Affe in roter Livree lädt ein in den Bereich der Installationen. Ein Zimmer schaue ich mir an mit einem Flügel und vielen Bildern an der Wand. Ein U-Bahnwaggon mit ständig aufschwingenden Türen kann betreten werden. In einem Wohnzimmer trompetet ein Elefanten. Pinkfarben ist er, mit goldenen Ornamenten, und er verschmilzt fast mit der gleich gemusterten Zimmertapete. An einigen Foto-Points ist Gelegenheit, sich in einer der Banksy-Kreationen fotografieren zu lassen. Etwa in der Telefonzelle. Vorsicht, nicht sprechen! Die drei Männer in Trenchcoats vor der Kabine belauschen jedes Gespräch.
Krieg mit Wachsmalstiften
Engagiert und aussagestark sind Banksys Arbeit zum Thema Krieg. Ein Beispiel ist das bekannte Antikriegswerk „CND Soldiers“ mit den beiden Soldaten vor dem Peace-Zeichen. Erstanden ist es 2006. Aus demselben Jahr stammt auch die Skizze auf Papier „Media Canvas“. Darauf zu sehen ist ein blutverschmiertes Mädchen mit Teddy inmitten von Trümmern. Sanitäter wollen ihm helfen. Doch sie werden zurückgehalten, damit erst die Medien ihre Bilder bekommen. Während die Journalisten nur einen Ausschnitt der Szene aufnehmen, schaut der Betrachter auf die gesamte Szene. Man sollte eben immer alles im Blick haben.
„Crayon Boy“ ist der Titel eines anderen Banksy-Werks. Der Akteur ist ein Kindersoldat mit Maschinengewehr im Anschlag. Die Patronen, entdeckt man beim genauen Hinsehen, sind Wachsmalstifte. Die Aussage: Kinder sollten lieber malen und spielen, statt in Kriegen verheizt zu werden.
Und wieder zu spät
Besonders gern nimmt der König der Streetart Polizisten aufs Korn. Naturgemäß sind sie die Widersacher der Szene. Da ist die Schablonenzeichnung „Rude Cooper“. Der unhöfliche Polizist streckt seinen Mittelfinger nach oben und das ziemlich nahe zum Betrachter. Mit dem Werk „Stop me bevor I Paint again“ verhöhnt Banksy die Langsamkeit der Polizei, die erst am Ort des Geschehens eintrifft, wenn es zu spät ist.
Aber ich will an dieser Stelle nicht zu viel verraten über die vielbesuchte Ausstellung. Am besten, man schaut sich Banksy im Kunstkraftwerk Leipzig selbst an. Oder aber im Internet.
Ratte lauert auf der Treppe
Überall auf den drei Etagen treffe ich auf aufgeklebte Rattenbilder. Mal halten sie eine Kamera in den Pfötchen, mal einen großen Pinsel oder eine Farbrolle. Mal hängen sie an einem aufgespannten Regenschirm oder halten dem Besucher Transparente entgegen, mal sind die Nager klein und fast zu übersehen, mal erwartet mich ein riesiges, mit einer Kamera ausgestattetes Exemplar, lauernd an einem Treppenaufgang. Oder die grauen Tierchen huschen in großer Zahl durch ein ungepflegtes Badezimmer. Was – wohlgemerkt – natürlich eine Installation ist.
Es könnten 20 dieser Banksy-Ratten sein, die ich entdecke und fotografiere. Und ich mache mir dabei Gedanken, warum Banksy ausgerechnet dieses Tier für seine Graffiti-Kunst als eine Art Markenzeichen favorisiert. Ist es deshalb, weil die Guerilla-Sprayer meist unbeliebt sind, dafür aber echt clever und sehr schnell? Oder weil sie gern im Dunkeln und Verborgenen arbeiten? Ich kann das nur vermuten. Was ich aber genau weiß: Banksy im Kunstkraftwerk Leipzig ist eine sehenswerte Schau. Sie ist noch bis zum 4. September 2022 geöffnet. Weitere Termine: Bis zum 3. Oktober 2022 werden Banksy-Werke in Hamburg präsentiert. Und Mühlheim a. d. Ruhr zeigt Werke des Streetart-Stars vom 7. Oktober 2022 bis zum 15. Januar 2023.
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