Der Palast der Winde in Jaipur war eine Station auf meiner fünftägigen Bustour durch Indien. Die kurze Reise führte mich auch nach Delhi. Und natürlich nach Agra. Dort, am Stadtrand, schaute ich mir das weltberühmte Taj Mahal an. Auch das Fort Amber im Bundesstaat Rajasthan ist ein lohnendes Ziel für Indien-Reisende , die auf den Spuren von Welterbestätten unterwegs sind.
Land drastischer Widersprüche
Die Fahrt zieht sich wie Kaugummi. Noch gut drei Stunden sind es bis Delhi. In der knapp 30 Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt begann vor fünf Tagen unsere Bustour durch Indien. Dort wird sie demnächst auch wieder enden. Noch bevor der Tag sich neigt, wird unsere kleine Reisegruppe Abschied nehmen von diesem faszinierenden Land. In dem fast 1,4 Milliarden Menschen leben. Wo 18 Sprachen und mehrere hundert Dialekte gesprochen werden. Wo die Einwohner im Hinduismus mehrere Millionen Götter verehren. Und wo Reisende auf Schritt und Tritt mit den drastischen Widersprüchen von Arm und Reich, Tradition und Moderne konfrontiert werden.
Märchenhafter Abend
Udai, der Guide mit dem runden Gesicht und dem schwarzen Schnauzer, legt sich auf der letzten Etappe unserer Bustour durch Indien noch einmal mächtig ins Zeug. Rückwärts kniet der 50-Jährige auf seinem Sitz. Die Arme über die Lehne gelegt, beweist er erneut, dass sein Fundus an Geschichten von Land und Leuten längst noch nicht ausgeschöpft ist. Doch das monotone Schaukeln des Busses arbeitet gegen Udai. Und gegen seine Episoden. Bald schläft das Gros der Gruppe. Vielleicht träumt die eine oder der andere grad vom letzten Abend. Den verbrachten wir in einem kleinen aber feinen Palasthotel. So richtig schnucklig. Mit leckeren Speisen und Getränken. Mit landestypischer Musik und Tänzen. Alles inmitten eines phantastischen Ambientes. Genau richtig, um nach der doch recht strapaziösen Tour Kraft zu tanken für die lange Heimreise. Die wird uns über Sri Lanka führen, wo wir zwischenlanden. Dann geht es weiter nach Frankfurt (Main).
Zappen durchs Bilder-Puzzle
Udai, der agile Reiseführer, gibt sich fürs erste geschlagen. Er lässt der Gruppe ihre Ruhe. Still sitzt er jetzt neben dem Fahrer und blickt durch die blitzblanke Frontscheibe hinaus auf die staubige Straße. Ich nutze die Pause und schalte die Digitalkamera an. Dann zappe ich mich durch meinen Foto-Fundus. Die Speicherkarte ist voll. Für ein paar Abschiedsfotos in Delhi brauche ich aber noch etwas Platz. Was heißt: Ich muss jetzt etliche Motive von der Reise löschen. Bloß welche?
Auf dem Elefantenrücken ins Fort
Beim Schnelldurchlauf durch die bunte Bildergalerie lasse ich die Stationen unserer Tour noch einmal Revue passieren: Die indische Hauptstadt mit ihren quirligen Basaren und der stillen Freitagsmoschee, der größten des Landes. Das berühmte Taj Mahal in Agra. Der Palast der Winde in Jaipur. Die wilde Fahrt mit der Autorikscha durch die staubigen Straßen. Oder das auf einem Berg erbaute Fort Amber, welches ich schaukelnd auf einem Elefantenrücken eroberte.
Von außen macht Fort Amber, Ende des 16. Jahrhunderts aus Marmor und Sandstein erbaut, einen ziemlich wehrhaften Eindruck. Im Innern jedoch taucht der Besucher in ein luxuriöses Palast-Ensemble ein mit zahlreichen Pavillons, schönen Innenhöfen und kunstvoll gestalteten Arkaden. Diese Architektur ist wirklich eine Augenweide.
Fasziniert hat mich vor allem der imposante Spiegelsaal. Die Wände sind über und über mit kleinen Spiegeln und Dekors bedeckt. Auch die Decken wurden nicht ausgespart. Inmitten der glitzernden Pracht fühlt man sich wirklich wie in einem Märchen aus 1001 Nacht. Man erreicht diese einzigartige Sehenswürdigkeit durch das nicht minder prächtige Tor Ganesh Pol. Mit all seinen Ornamenten ist es ein absoluter Hingucker. Namensgebend für den Eingang ist übrigens der Elefantengott Ganesha. Dessen Abbild schaut gelassen auf die vielen Besucher herab, die sich vor und auf der Treppe drängen.
Marmor-Grabmahl im Blick
Das Rote Fort in Delhi hatte mich schon zu Beginn der Reise sehr beeindruckt. Das Rote Fort in Agra aber noch viel mehr. Die im 16. Jahrhundert auf einem halbmondförmigen Grundriss errichtete Festungs- und Palastanlage aus rotem Sandstein gehört zum Weltkulturerbe. Die imposante Anlage haben wir natürlich während unserer Bustour durch Indien ebenfalls angesteuert. Hier, so erzählte uns Udai beim Rundgang, musste Shah Jahan seine letzten acht Lebensjahre verbringen. Jeden Tag mit Blick auf das nur etwa zwei Kilometer entfernte Taj Mahal. Das hatte er für seine verstorbene Hauptfrau erbauen lassen. Doch das Mamor-Grabmahl mit seiner Liebsten zu besuchen, war dem von seinem Sohn Aurangzeb im Fort festgesetzte Großmogul nicht vergönnt. Unserer Reisegruppe schon.
Gastfreundliche „Pink City“
Die Bilder sind wie ein buntes Puzzle. Das sich zusammenfügt aus prunkvollen Palästen, aber auch aus viel zu vielen armseligen Hütten. Von welchen Fotos soll ich mich jetzt trennen? Vielleicht lösche ich einige Porträt-Aufnahmen, die einen Gutteil des Chips füllen? Frauen sind darauf zu sehen in farbenprächtigen Gewändern und mit Gold durchwirkten Schleiern. Männer mit üppigen Bärten und verwegenen Turban-Konstruktionen. Kinder, die mir vom Display entgegenlächeln. Wie dieses schwarzhaarige Mädchen mit dem aufgeklebten Schmuckstück auf der Stirn.
Begegnet bin ich der Elfjährigen in Jaipur. Das ist die Hauptstadt des Bundesstaates Rajasthan. Wegen des rosaroten Anstrichs vieler Gebäude trägt die Stadt den Beinamen „Pink City“. Das erfuhren wir von Udai während der Bustour durch Indien. Der erzählte auch, das Jaipur erstmals 1883 den rosaroten Anstrich bekam. Damals besuchte Kronprinz Albert Eduard die Edelsteinschleifer-Stadt. Eine achtungsvolle Geste für den damaligen Kaiser von Indien. Denn die Farbe Rosa signalisiert in Rajasthan Gastfreundschaft.
Kurzer Stopp im Verkehrsgewimmel
Das wohl berühmteste Gebäude der mehr als drei Millionen Einwohner zählenden Stadt ist der Palast der Winde. Palast ist für das fünfstöckige Gebäude in Wabenoptik allerdings eine starke Übertreibung. Denn die Räumlichkeiten hinter der schmucken Fassade mit den mehr als 950 vergitterten Fenster und Erkern strecken sich nach hinten nur etwa fünf bis acht Meter. Was allerdings ausreichend war für den Zweck des Gebäudes. Denn aus den Fenstern verfolgten einst die Haremsdamen die Festumzüge und das bunte Treiben auf der Straße. Und weil hier immer eine frische Brise durch die Fenster wehte, bekam der Palast seinen Namen.
Bunt und vor allem sehr belebt ist das Treiben auf der Straße auch heute noch. So konnte unser Reisebus denn auch nur für einen kurzen Foto-Stopp vor dem rosaroten Sandstein-Gebäude halten. Also schnell raus aus dem Gefährt und vorsichtig sein im Gewimmel von Karren und Rikschas und Rädern und Autos und Passanten. Dann musste der Bus auch schon weiter rollen.
Zehn quadratische Viertel
Später erzählte uns Reiseführer Udai noch, dass Maharaja Jai Singh II. 1727 seine neue Hauptstadt wie ein Schachbrett anlegen ließ. Eine insgesamt 20 Kilometer lange Mauer umgab die zehn quadratischen Viertel. Beim Schlendern durch die Straßen spürt man auch heute noch die einstige Pracht der Stadt. Vor allem im – natürlich ebenfalls rosarot gestrichenen – Stadtpalast. Der größte Teil des Wohnsitzes der Maharaja-Familie beherbergt heute ein Museum. Zu sehen gibt es hier historische Textilien und Waffen sowie Schmuck.
Geisterstadt des Moguls
Die Bilder vom Palast der Winde wie auch vom Stadtpalast bleiben natürlich im Speicher. Und auch die nun folgenden Aufnahmen des Inders mit dem hennarot gefärbten Schopf. Und dem kecken grauen Schnauzer. Kennengelernt habe ich den 65-Jährigen in Fatehpur Sikri. Die ehemalige Hauptstadt des Mogulreichs liegt etwa eine Stunde entfernt von Agra. Ich erinnere mich an die Begegnung mit dem Rotschopf. „Ich heiße Abdul Rastet“, sagte plötzlich eine Stimme neben mir, während ich gerade die aufwändigen Verzierungen aus Sandstein und Marmor am 54 Meter hohen Siegestor bewunderte.
„Soll ich Ihnen den Palast zeigen“, bot mir der aus Agra stammende Mann an. Aber klar doch. So führte mich Abdul eine Stunde durch die Weltkultur-Anlage aus dem 16. Jahrhundert. Und dabei erwies er sich als charmanter Palastwächter. „Seit 1590 ist Fatchpur Sikri eine tote Stadt“, erzählte der Vater von fünf Kindern. Nicht nur, weil der Hof 1585 nach Lahore verlegt wurde. Der Stadt mangelte es auch an Wasser. Trockenheit, sagte Abdul, sei eines der größten Probleme Indiens. Schon ein Jahr ohne Regen kann das zerbrechliche Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringen. Von den Folgen dieser Trockenheit haben wir während unserer Bustour durch Indien einiges mitbekommen.
Wunder aus weißem Marmor
Kein Frage: Abduls Bild bleibt im Speicher. Ich klicke weiter durch die Bildersammlung. Plötzlich schaut mich ein gütiges Frauengesicht an. Umrahmt ist es von einem zarten blauen Tuch über weißem welligen Haar. Sofort denke ich an das Taj Mahal. Dort entstand das Foto. Gerade, als uns Udai unterm schattenspendenden Blätterdach die Geschichte von Indiens berühmtesten Bauwerk erzählte. Das beindruckende Gebäude ist eine prächtige Grabmoschee.
Das Mausoleum ließ besagter Großmogul Shah Jahan, von dessen Schicksal wir schon im Roten Fort von Amber gehört hatten, im 17. Jahrhundert erbauen. Zur Erinnerung an seine Lieblingsfrau Mumtaz Mahal. Die war bei der Geburt ihres 14. Kindes gestorben. Millionen Menschen zieht es Jahr für Jahr zu diesem Wunder aus weißem Marmor, dessen Bau Unsummen verschlang. Das brachte Indien zwar ein weltberühmtes Wahrzeichen, dem verschwenderischen Bauherrn allerdings bis zu seinem Lebensende Gefangenschaft im Roten Fort von Agra. Trotzdem gab es dann doch noch ein Happy End. Denn der Großmogul wurden neben seiner Liebsten bestattet.
Schweigsames Ehepaar
Während unser Guide die rührselige Liebesgeschichte erzählte, entdeckte ich auf der Wiese eine betagte Frau mit blauem Tuch. Reglos saß sie an der Seite ihres Mannes. Genau wie er hatte sie die Arme um die angewinkelten Beine geschlungen. Beider Blick auf das Kuppelgrab gerichtet, das sich auf einer 100 Meter im Quadrat messenden, 6,70 Meter hohen Marmorplattform, erhebt.
Später, als wir nach der Besichtigung des Mausoleums und des schönen Gartens zum schattigen Ort zurückkehrten, saß das schweigsame Paar noch immer in gleicher Pose auf dem Rasen. Der Anblick der Beiden faszinierte mich. Sie machten mich neugierig. Und so fasste ich Mut.
Ich bat den Mann mit dem weißen Turban und dem blauen Hemd, seine Frau fotografieren zu dürfen. Der schaute zu mir auf, wiegte den Kopf. Ich durfte also. Wenig später reichte ich ihm meine Kamera. Als er das Foto seiner Frau betrachtete, leuchteten seine Augen. War das eine Träne im faltenreichen Gesicht? Ich war sehr gerührt. Später durfte ich auch ihn fotografieren. Und ich erfuhr, dass Beide schon eine Ewigkeit glücklich verheiratet waren, und sich wünschten, einmal das Taj Mahal zu sehen. Und da saßen sie nun und schauten und schwiegen. Klar, dass ich diese Bilder nie lösche. Sie werden mich immer an diesen besonderen Moment am Taj Mahal erinnern.
Unvergessliche Augenblicke
Mehrmaliges blechernes Klopfen reißt mich aus den Gedanken. Udai hält das Mikrofon in der Hand. „Wir sind gleich in Delhi“, spricht er. In die Gruppe kommt Leben. Unsere Reise neigt sich dem Ende. Einige Bilder habe ich inzwischen gelöscht. Von Torbögen und Palastfenstern. Solche Fotos kann ich mir in Bildbänden oder Reiseführern anschauen. Die Porträts meiner Reisebekanntschaften allerdings nicht.
Wenn ich ihre Gesichter betrachte, werde ich mich an die Bustour durch Indien mit ihren Interessanten Stationen erinnern. An das Taj Mahal, an die rosarote Stadt, an das Fort Amber, an Delhi. Und ich muss plötzlich lächeln. Weil auch ich im Gegenzug von den Einheimischen fotografiert wurde. Nicht selten stand ich inmitten von ganzen Familienverbänden. Welch Spaß! Welch unvergessliche Augenblicke!
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