Der idyllische Wörlitzer Park lässt sich zu Fuß und mit dem Boot erkunden. Ein ausgeklügeltes System von Wegen, Wasseradern, Seen und Brücken macht es möglich. Einer der Höhepunkte des Landschaftsgartens nach englischem Vorbild ist die künstliche Insel Stein mit der Nachbildung des Vesuvs.
Statt Krieg lieber Garten
Was macht ein Mann, dem die rechte Lust fehlt, in den Krieg zu ziehen? Er gärtnert. Oder, wenn er über genügend Geld und entsprechend viel Land verfügt, lässt er gärtnern. So wie dereinst „Vater Franz“. Pardon für die laxe Anrede. „Vater Franz“ nannten ihn natürlich nur seine Untertanen, weil sie ihren Herrn offensichtlich als recht fürsorglich empfanden. Richtig hieß der reiselustige wie gartenaffine Adlige nämlich Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau. Seines Zeichens war er Fürst. Seinem Enthusiasmus fürs Gärtnerische ist es zu verdanken, dass wir uns heute in Mitteldeutschland an einer außergewöhnlich reizvollen grünen Perle erfreuen können.
Es ist der idyllische Wörlitzer Park bei Dessau. Entstanden ist die Idylle im 18. Jahrhundert. Genauer gesagt wurde der Landschaftsgarten zwischen 1769 und 1773 angelegt und bis 1813 immer wieder erweitert. Seit zwei Jahrzehnten gehört diese viel besuchte Oase, gestaltet nach englischem Vorbild, zum Weltkulturerbe.
Einen Namen muss man in Zusammenhang mit der Entstehung des Parks in Sachsen-Anhalt unbedingt erwähnen: Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff. Der Sachse war Architekt, Franzens Berater und Freund. Und ein steter Begleiter, wenn sich der Fürst auf Reisen begab. Dort sammelten die beiden Männer Ideen für Anlage, Gestaltung und Erweiterung des Parks.
Tempel grüßt aus der Ferne
Wie lässt sich der idyllische Wörlitzer Park am besten kennenlernen? Klar, durch die Teilnahme an einer professionellen Führung. Und so nehme ich denn an diesem Frühsommertag an einer teil.
Ein Gewinn wie sich herausstellt. Weil die Park-Expertin nicht nur über die eine oder andere Episode zu berichten weiß, sie kennt auch die interessantesten Plätze. In den reichlich zwei Stunden Rundgang macht sie mich auf Dinge aufmerksam, die mir möglicherweise entgangen wären. Ich sage nur: Sichtachsen. Gehört hatte ich schon von ihnen. Aber wenn man so vor sich hinwandert, und sich an den kleinen und großen Dingen am Wegesrand erfreut, dann kann man schon mal Wichtiges übersehen. Denn der idyllische Wörlitzer Park hat nicht nur ein ausgeklügeltes System von Wegen und Kanälen, sondern auch von besagten Sichtbeziehungen. So grüßen in der Ferne plötzlich ein Kirchturm, ein Tempel, eine Brücke. Doch anfangs ich sehe erst mal nichts in der Ferne.
An einem Punkt des Weges gibt es den ersten Halt. Die Führerin weist nach vorn. Und tatsächlich, ich sehe es: In der Ferne lugt ein Turm durchs Blattwerk. Ehrlich, den hätte ich glatt übersehen. Weitere solcher Aha-Effekte folgen auf der Wanderung, vorbei an Wiesen und Feldern und Weiden, auf denen Charolais-Rinder gemütlich grasen. Und mit der Zeit bekomme ich einen geübten Blick für diese gartenarchitektonischen Finessen im Park, auf die Fürst Franz so viel Wert legte. Übrigens: Nicht nach akkurat getrimmten Blumenrabatten stand dem Herrn der Sinn, als er sich mit dem Gärtnern befasste. Sein grünes Paradies sollte ein lustvoll inszenierter Wildwuchs der Natur sein, den sich schon damals jedermann anschauen durfte. Deshalb hat der idyllische Wörlitzer Park schon von Anbeginn an keine Zäune oder Mauern.
Steintor und Lava-Blubberer
Während des Rundgangs erfahre ich neben geschichtlichen Daten auch von Franzens Reisen. Die ihn nach England und Holland und Italien führten. Und so, wie wir uns heute von unseren Ausflügen Krüge, Masken und Krimskrams zur Erinnerung mitbringen, so saugte Fürst Franz damals auf seinen Touren die Eindrücke auf. Um die schönsten daheim in seinem Refugium neu zu erschaffen. Irgendwie erinnern mich beispielsweise die aufeinander geschichteten Felsbrocken nahe der Villa Hamilton an Stonehenge. Und auch der künstliche Vesuv, der gleich in der Nähe bestaunt werden kann, ist ein lebendig gewordenes Souvenir der fürstlichen Bildungsreise nach Neapel. Bei der er 1766 auch den Vulkan bestieg. Doch später mehr zum künstlichen Lava-Blubberer.
Jetzt wandert unsere kleine Gruppe erst mal unter schattigen Bäumen. 600 Arten soll der romantische Wörlitzer Park beherbergen. Beachtlich die Zahl und ihr Anblick – von knorrig oder exotisch bis schlank im Wuchs oder sehr umfänglich. Links und rechts neben den Wegen – fällt mir auf – erreicht das Gras stattliche Höhen. Mäht hier eigentlich niemand? Zu dieser Zeit nicht, erklärt die Führerin, denn das Getier soll nicht gestört werden. Deshalb wird auch nicht gern gesehen, dass Besucher fernab der Wege durch diese Oasen stampfen.
Die Wasserläufe überbrücken
So sehenswert wie die Natur, so sind auch die Bauwerke im Wörlitzer Park immer wieder ein Hingucker. Beispielsweise die Brücken. Keine, so höre ich, gleicht der anderen. Jede ist ein Unikat. Die Chinesische Brücke, die Hornzackenbrücke, die Eiserne Brücke. 17 dieser Bauwerke können im Park besichtigt werden. Am besten gefällt mir die goldene Sonnenbrücke, weil sie etwas Märchenhaftes ausstrahlt. Die Überquerung der Kettenbrücke finde ich diesmal überhaupt nicht schlimm. Hatte ich die doch noch aus Kindertagen anders in Erinnerung.
Überwinden kann der Besucher das Wasser aber auch mittels Fähren. Die Überfahrten – ein Handgeld ist jeweils fällig – sind nur kurz, aber man kann sich dabei beispielsweise an den unzähligen Seerosen-Blüten aus naher Distanz erfreuen.
Rundblick vom Bibelturm
Erst mal genug Natur geschaut. Ein zweiter Rundgang ist für den Nachmittag gebucht. Durch das Schloss. Bevor der startet, bleibt noch etwas Zeit. Die nutze ich und besuche die kleine St. Petri Kirche unweit des Schlosses. Ich schaue mir das Langhaus mit der Orgel an und den Altarraum. Danach zieht es mich in die Höhe. Für ein kleines Eintrittsgeld darf ich den 66 Meter hohen Bibelturm besteigen. Auf halbem Weg gelange ich auf eine Empore. Von der kann ich auf das Langhaus der Kirche, deren Grundmauern aus dem 12. Jahrhundert stammen sollen, schauen. Über eine Wendeltreppe und einen kreisrunden Ausstieg gelange ich dann auf die obere Plattform. Von hier schweift mein Blick über das beschauliche Wörlitz und Teile des Parks.
Uhrzeit an der Decke
Nun wird es Zeit für das klassizistische Schloss Wörlitz. Der gelbe Zweigeschosser fügt sich harmonisch in die Parklandschaft ein. Der erste Blickfang ist der Portikus mit Uhr. Wer macht denn so was? Eine Uhr, an der man nur dann die Zeit ablesen kann, wenn man den Kopf in den Nacken legen. Verrückte Idee.
Wir starten im Lichthof, zu dem wir durch die Rotunde gelangen. Die übrigens ist hübsch anzusehen. Nicht nur wegen der Skulpturen in den Nischen und dem Nackedei im Zentrum. Der Fußboden zeigt ein schönes grafisches Muster und die gewölbte Schmuckdecke, durch deren Öffnung Tageslicht fällt, ist durchaus einen Blick nach oben wert.
Auch im fürstlichen Refugium – das weitestgehend im Originalzustand erhalten ist – gibt es einiges Erstaunliches für die damalige Zeit zu sehen. Eine der beiden Seitentüren im Speisesaal beispielsweise erweist sich beim Öffnen als Wandklappbett. Und die Füllung einer anderen Tür – wird uns demonstriert – ist nur deshalb so breit, weil man darin Gebrauchsgegenstände unterbringen konnte. Ganz schön einfallsreich, die Leute von damals. Ich glaube, auch der Eisschrank und die Heizungsanlage dürften wohl damals so manchen Zeitgenossen bei der Besichtigung verblüfft haben. Apropos Besichtigung: Wie die gesamte Parkanlage, so war auch das Schloss sei Beginn an für Besucher zugänglich.
Edel finde ich die beiden chinesischen Zimmer. Sie dienten dem Fürsten als Empfangsräume. Hier verweilt mein Blick auf den Papiertapeten und geht dann zur interessanten Decke. Im „Raum des Tages“ etwa strahlt eine goldene Sonne von oben und versucht den Laternen, die von vier aufgemalten Drachen gehalten werden, die Schau zu stehlen.
Nymphe schaut gelangweilt
Nach Parkrundgang, Schlossbesichtigung und Bibelturmbesteigung ist nun Zeit, den Skulpturen im Wörlitzer Park ein wenig auf den weißen Stein zu rücken. Die grüßen ja nun wirklich an vielen Stellen des Landschaftsgartens. Da steht die schneeweiße Diana auf der saftig grünen Wiese, geschützt von einem Baum-Meer. Die Muschelsucherin blickt versonnen auf den See hinaus. Wahrscheinlich hält sie grad Ausschau nach den vollbesetzten Booten. Die kniende Venus lässt sich derweil nicht stören von Besuchern, die von der Fähre kommen oder die sich übersetzen lassen wollen. Die liegende Quellennymphe scheint es auch nicht sonderlich zu interessieren, was um sie herum passiert. Gelangweilt stützt sie den Kopf in die Hand. Währenddessen zeigt die Venus stolz ihren makellosen nackten Körper. Aber auch die antiken Plastiken am Küchengebäude neben dem Schloss verdienen Aufmerksamkeit.
Durch den Park gondeln
Wasser gibt es genügend im idyllischen Wörlitzer Park. Denn Seen, Kanäle und die schon erwähnten Brücken prägen das Bild der Landschaft. So können Besucher nicht nur zu Fuß das weitläufige Park-Areal erkunden, sondern gern auch per Gondel. Im Wasser gibt es genauso viel zu schauen wie an den malerischen Ufern.
Künstliche Insel mit Mini-Vesuv
Zweifellos ein Magnet im Park dürfte für viele Besucher die aus einer Masse an Findlingen, Basalt und Mansfelder Schlackensteinen künstlich erschaffende „Insel Stein“ sein. Unter dem Eindruck seiner Reise nach Neapel und der Besteigung des Vesuvs an der Seite des Naturforschers William Hamilton ließ Fürst Franz von Anhalt-Dessau nach seiner Rückkehr dieses außergewöhnliche Eiland anlegen. Nach sechs Jahren Bauzeit beherbergte das Kleinod des Gartenreiches den auch heute noch zu besichtigenden ältesten künstlichen Vulkan Europas. Und einige Grotten und Gänge sowie die Tempel des Tages und der Nacht, ein Kolumbarium sowie eine Nachbildung eines antiken Theaters.
Unbedingt anschauen sollten sich Besucher die Villa Hamilton am Fuße des Vesuvs en miniature. Der Fürst ließ eine Kopie von Hamiltons Villa „Emma“ im Park errichten, sozusagen als ein ansehnliches Monument seiner Freundschaft zu besagtem Forscher. Das reizvolle klassizistische Gebäude, das zu Erdmannsdorffs Meisterwerken gezählt wird, ist nur klein, aber die drei Zimmer sind erlesen ausgestattet. Als Ferienquartier würde mir das schon gefallen.
Geheimnisvolle Unterwelt
Nun ist es höchste Zeit abzutauchen in die Unterwelt. Wer sich die Villa Hamilton angeschaut hat, sollte auch einen Blick in die darunter liegenden Grotten werfen. Es ist schummrig hier unten direkt am Wasser. In den Nischen tummeln sich allerlei weiße Skulpturen. Immer wieder schön und fotografisch reizvoll sind die Ausblicke durch die Steinbögen auf den See.
Hingucker aus farbigem Glas
Was ist denn das? Ich schaue zum Gotischen Haus, meinem letzten Ziel. Da sehe ich, wie sich mehrere Köpfe in einer Linie auf der Wiese von links nach rechts bewegen. Die Aufklärung folgt bei genauerem Hinschauen. Es sind Park-Besucher in einer Gondel. Von meinem Standpunkt aus kann ich den Kanal nicht sehen, auf dem sie grad unterwegs sind. Für mich ist dies eine amüsante Beobachtung.
Das Gotische Hauses gefällt mir. Mehr noch als das Schloss. Auch hier hatte der umtriebige Erdmannsdorff seine Finger im Spiel. Er lieferte den Entwurf zum hübsch anzusehenden und später mehrfach erweiterten Gebäude. Das übrigens gehört heute, so ist nachzulesen, samt seiner Einrichtung zu den ältesten weitgehend original erhaltenen Architekturen der Neugotik in Europa. Alle Achtung.
Gedacht war das Gebäude ursprünglich für Franzens Hofgärtner Schoch. Ab 1785 jedoch wohnte der Fürst dann selbst drin. Mit seiner Zweitfamilie – der Tochter des Gärtners, Louise Schoch, sowie der drei gemeinsamen Kinder.
Beim Rundgang ist zu sehen, dass Fürst Franz in diesen Räumen seine Sammelleidenschaft trefflich auslebte. Kostbare Gemälde schmücken die Wände. Leider sind einige wertvolle Bilder verloren gegangen. Stellvertretend für die verschollenen Werke hängen an deren Stellen Schwarz-Weiß-Bilder der Originale. Äußerst farbig dagegen ist die Glassammlung im Gotischen Haus. Die Fenster sind eine echte Augenweide. Für das Betrachten sollte man sich ruhig Zeit gönnen. Ich entdecke viele interessante Szenen und Motive.
Der idyllische Wörlitzer Park – was für zwei erlebnisreiche Tage! Beim Abschied reift mein Entschluss, hier bald wieder vorbeizuschauen. Vielleicht im Herbst, wenn sich die Blätter färben, da muss es in der Anlage auch herrlich sein. Oder im Winter, wenn der Raureif die Äste überzieht oder der Schnee die Landschaft märchenhaft überpudert. Mal schauen! Auf alle Fälle muss ich mir den Floratempel noch mal genauer anschauen.
Ein weiteres schönes Ausflugsziel in Mitteldeutschland ist Rudolstadt mit seiner Heidecksburg. Wer barocke Schlösser mag, sollte unbedingt Schloss Friedenstein in Gotha besuchen. Und auch die Moritzburg bei Dresden ist ein lohnendes Ziel.
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