Gulliver in Halle inmitten einer Menschenmenge

Aus Anlass des 70. Jubiläums des Puppentheaters der Saalestadt hat sich auch Gulliver in Halle eingefunden. An zwei Tagen zieht ein Open-Air-Spektakel die Besucher in den Bann.

Riese auf Marktplatz gestrandet

Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Mitten auf dem Marktplatz von Halle soll ein Riese gestrandet sein. Sein Name: Gulliver. Ist das wahr, Gulliver in Halle? Was für eine Sensation! Da muss man unbedingt dabei sein. Und so strömt denn das Volk aus allen Himmelsrichtungen auf den zentralen Platz im Stadtzentrum.

Doch der große Mann aus dem allseits bekannten Roman von Jonathan Swift ist erst mal nicht auszumachen. Nur ein paar ziemlich lange mehrfarbige Stoffbahnen sind auf den Bodenplatten zwischen Marktkirche und Rotem Turm ausgebreitet. Dazwischen wuseln Männer und Frauen der Compagnie „Plasticiens Volants“. Die Künstlergruppe aus Frankreich hat die Gulliver-Figur und einige andere erschaffen und wird ihn zwei Tage lang durch Halles Zentrum führen. Vom Markt zum Hallmarkt am ersten und am nächsten Tag wieder zurück.

Noch liegt nur die Hülle von Gulliver auf dem Pflaster des Marktes in Halle

Vollgepumpter Riese

Aber erst einmal heißt es, den schlaffen Hüllen Leben einzuhauchen. Unter den Blicken der immer größer werdenden Schar der Neugierigen pumpt die Künstlergruppe Helium in die Schlauchgebilde. Das dauert seine Zeit. Doch allmählich gewinnen sie an Volumen. Und an Form. Mit fortschreitender Zeit zeichnet sich eine Figur ab. Ein Kopf mit feuerroten Haaren. Ein rotes Wams. Eine lilafarbene Hose, die in kniehohen klobigen Stiefeln verschwindet.

Mit Sandsäcken fixiert

Nach einer Stunde etwa ist es dann vollbracht. Der Riese, vollgepumpt mit Helium, liegt platt auf dem Rücken. Gulliver in Halle – die Stadt mutiert zu Liliput an der Saale. Alles drängt und reckt sich, um den großen Mann zu sehen. Doch noch liegt er, zuckt hin und wieder mit den Pranken. Manchmal erschlafft sein Gesicht oder aus den Armen scheint Luft zu entweichen. Da fragt sich manch Umstehender schon, ob Gulliver überhaupt auf die Beine kommen wird. Doch jetzt ist seine Zeit sowieso noch nicht gekommen. Mit kleinen Sandsäcken fixiert, sogar an den Ohren und im Gesicht, bleibt er erst mal in Liegeposition.

Gulliver in Halle wird mit Helium gefüllt
Sandsäcke an verschiedenen Stellen fixieren Gulliver in Halle am Boden
Neugierig umringt: Gulliver in Halle

Hüne wird vermessen

Jetzt nämlich beginnt das Spiel. Der Kaiser von Liliput und seine Minister, alle Schauspieler und platziert auf Hebebühnen, erscheinen auf dem Schauplatz. Letztere vermessen den gefesselten Giganten. Der rührt sich nicht. Zahlen werden hin und her gerufen und vom Hofstaat mit großem Erstaunen registriert. Es stimmt: Der Gulliver in Halle ist mit seinen fast 20 Metern schon ein Prachtexemplar.

Noch schläft der Fremdling. Doch mit der Ruhe ist es bald vorbei. Schon nähert sich eine Monsterfliege. Fast so groß wie ein Heißluftballon bahnt sich das bunte Fabelwesen torkelnd, drehend und laut brummend seinen Weg vom Ratshof bis zum Roten Turm. Immer schön dicht über der Menschenmenge. Dabei streift der lange rote Fliegenrüssel ebenso wie die sechs Beine so manchen Kopf. Oder erkundet die Hausfassaden ringsum. Plötzlich ist Gulliver vom Insekt ausgemacht und wird sofort attackiert.

Jubel für den Riesen

Und nun kommt tatsächlich Leben in den Titan. Gulliver setzt sich auf und blickt verwundert in die Menge. Die beginnt zu jubeln und zu klatschen. Und der Opernchor, etwas entfernt platziert, singt „Hallelujah“. Die Begeisterung erreicht ihren Höhepunkt, als Gulliver in Halle endlich in den Stand kommt und die Umstehenden buchstäblich in den Schatten stellt. Fast bis zu den Uhren des Roten Turms ragt des Riesen Kopf empor. Wenn er übermütig wäre, könnte er glatt die Zeiger verstellen. Da überkommt selbst die erwachsenen Liliputer ein kindliches Staunen.

Anfangs schwankt Gulliver noch leicht, stellt unsicher Fuß vor Fuß. Dann stapft er los. Richtung Marktkirche. Angesichts des großen Gastes ist dem Kaiser eine Idee gekommen. Lemuel Gulliver, Wundarzt zur See, soll nämlich am folgenden Tag gegen den mächtigen Feind von Liliput kämpfen. Dafür braucht er Kraft.

Also ist jetzt erst mal Schlafen angesagt. Schließlich geht die Sonne schon langsam unter über Liliput. Zweieinhalb Stunden nach Wiederbelebung des Riesen wird er die Treppen runter zum Hallmarkt bugsiert. Begleitet von der staunenden Menschentraube. Auf dem großen Platz soll sich Gulliver ausruhen für die Schlacht am Folgetag. Da muss auch die Menge wieder fit sein. Schließlich will sie sich dieses Open-Air-Spektakel nicht entgehen lassen.

Der Kaiser und seine Minister aus Liliput bei Gulliver in Halle
Gulliver in Halle winkt der Menschenmenge

Chor als Wecker

Den Sonnenaufgang hat Gulliver in Halle verschlafen. Auch die Ankunft des Hofstaats von Liliput auf dem Hallmarkt. Als Wecker fungiert deshalb der Opernchor der Saalestadt. Da kommt plötzlich wieder Leben in den Lulatsch. Ein paar Minuten verweilt er im Sitzen. Dann steht Gulliver auf und lässt sich von Mitgliedern der französischen Künstlergruppe die Treppe zum Markt hochtragen. Dort wartet schon der andere Gigant auf den Rotschopf. Doch der berühmte Seefahrer, begrüßt vom Carillonspiel des Roten Turms, lässt sich von seinem Kontrahenten erst mal nicht aus der Ruhe bringen. Angekommen auf dem Markt ruht er schon wieder auf dem Rücken, den Blick auf Händels Denkmal gerichtet.

Gulliver in Halle liegt auf dem Hallmarkt
Gulliver in Halle: Blick vom Eiscafé auf die Riesenfigur, die markanten Türme der Saalestadt und das Händeldenkmal

Kampf der Giganten

Hinter Händels Denkmal, braut sich derweil was zusammen. Während Gulliver noch immer in der Horizontalen verweilt, rumort es schon vorm gegenüberliegenden Ratshof. Hier tut sich Spektakuläres. Größer als Gulliver und zergliedert in Riesenkopf, mächtigen Händen und Füßen, setzt der Rivale unter Gebrüll zum Angriff an. Die Menge erstarrt und beobachtet fasziniert, wie Kopf und Extremitäten über sie hinweg Richtung Marktkirche streben. Hin zu Gulliver. Der ist mittlerweile in den Stand gekommen und lenkt das Gemetzel weg vom Marktplatz. In einer Seitenstraße verschwinden die beiden Giganten und geraten damit aus dem Blickfeld der Menge. Die löst sich langsam auf. Und auch später noch hört man die Liliputer schwärmen vom Gulliver in Halle.

Gulliver in Halle: Blick von oben auf den Feind von Liliput

Das Open-Air-Spektakel Gulliver in Halle war der Auftakt zu einer Festwoche (15. bis 22. Juni 2024) in der Saalestadt. Sie galt dem Puppentheater, das in diesem Jahr sein 70jähriges Jubiläum mit einem großen Festival feiert.

Gulliver steht auf: Video 1

Gulliver in Halle läuft vorbei am Roten Turm: Video 2

Eine Monsterfliege torkelt über der Menschenmenge: Video 3